Florian Scheibe, "Weiße Stunde". € 21,00 / 208 Seiten. Luftschacht, Wien 2012

Foto: Luftschacht

Noto. Inbegriff des Spätbarocks auf Sizilien. 1693 durch ein Erdbeben nahezu ganz zerstört, wurde die Stadt vollständig neu erbaut. Innerhalb der strengen planerischen Vorgaben schäumte die barocke Formensprache über. Und dieses Muster von Rigidität und Nachgeben, disziplinierender Norm und träumerischer Indolenz hat der in Berlin lebende 41-jährige Florian Scheibe, Historiker, Filmwissenschafter und Autor, der als Aufnahmeleiter, Regieassistent und Lektor tätig war, als Rahmen für sein Romandebüt gewählt. Weiße Stunde spielt in Noto.

Ein junges Paar hat sich für mehrere Sommerwochen in dieser Stadt eingemietet, er, der Ich-Erzähler, ein freier Autor in der Schreib- und Existenzkrise, Svenja eine Nachwuchswissenschafterin, die vor Ort für ein Projekt über die Architektur von Noto forscht. Ein ungleiches Paar, er introvertiert, gehemmt; sie offen, umgänglich, kommunikativ. Bei einer Ausfahrt in die Umgegend besichtigen sie ein leerstehendes großes altes Anwesen, streiten sich, er kehrt zum Auto zurück. Wartet. Sie kommt nicht mehr.

Er sucht sie, ergebnislos, fährt zurück in die Wohnung. Und fühlt sich befreit, das Alleinsein löst einen Kreativitätsschub aus, gepaart mit mysteriöser Passivität. Einige Tage später zieht er sich am Strand einen schweren Sonnenbrand zu, der ihn lange ins Bett zwingt. Mit der verstreichenden Zeit löst sich das Bild Svenjas immer stärker auf, Bekannten erzählt er, sie sei in Palermo.

Bis er dann tatsächlich Meldung bei der Polizei machen will, die dem Ganzen erst auf Intervention durch Svenjas Eltern Ernst beimisst. Nach dem Rückflug wird er von der deutschen Polizei verhört, Widersprüche führen zu einer Verurteilung. Anderthalb Jahre später wird auf Sizilien der wahre Täter verhaftet, der Svenja erschlagen hatte. Der freigelassene Ich-Erzähler kehrt wieder nach Noto zurück, braucht sein letztes Geld auf und endet als unablässig in Notizhefte kritzelnder Clochard.

Scheibe veröffentlichte vor mehreren Jahren einen Band über Jean Vigo, den Autor der großartigen Filme Zero de Conduite und Atalante. "Sphären des Spiels und des Spielerischen" lautete der Untertitel der Monografie über den 1934 mit 29 Jahren verstorbenen französischen Filmemacher, Inbegriff des romantischen Märtyrers, der Gesundheit und Leben der Kunst opferte.

Hat Scheibe mit seinem Roman Ähnliches angepeilt, zwischen Spiel und Blindheit des Erzählers, zwischen Normen und Gleichgültigkeit Oszillierendes? Seiner Prosa lässt sich Ambition nicht absprechen, erst recht in den immer wieder grell aufschießenden Bildern, die oft zu lautstark die sonore Tonlage durchbrechen. Am Ende bleibt Ratlosigkeit und ungerührte Distanz. Denn Scheibe landet beim überschaubar originellen Befund einer neuen männlichen Weinerlichkeit in Gestalt eines egoistischen Krisenschwurblers, dem Kreativität eine Krücke auf der Flucht aus dem Leben ist.     (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 11./12.8.2012)