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Das Rote Fort von Agra gehört zu den bekannten Baujuwelen, die Schah Jahan mit Palast- und Gartenanlagen schmückte. Hier starb der Mogul und Mäzen im Jahr 1666.

Foto: Corbis

So rekonstruierte Ebba Koch die Gartenstadt Agra zur Zeit des Mogulreichs: Prunkvolle Gartenpaläste des Schahs, seiner Familie und der Eliten säumten die Ufer des Flusses Jamuna.

Illustration: Ebba Koch

"Wir sind alle in das Gefängnis unserer Existenz hineingeboren und folgen blindlings dem Vorbild unserer Väter. Nur die Vernunft kann uns daraus befreien." Eine tiefe Einsicht, die man am ehesten einem großen europäischen Aufklärer zuschreiben würde. Tatsächlich stammt sie vom muslimischen Mogulherrscher Akbar aus dem 16. Jahrhundert. Er erkannte die religiöse Toleranz gegenüber der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit in seinem expandierenden Reich auf dem indischen Subkontinent als eine der zentralen Säulen zur Festigung seiner Macht. Und die Geschichte gab ihm recht: Akbar wurde zum bedeutendsten Herrscher des Mogulreichs, unter ihm erlebte es seine erste Blütezeit.

"Generell waren die Moguln außergewöhnlich tolerant", erklärt die Wiener Kunsthistorikerin Ebba Koch, eine internationale Koryphäe auf dem Gebiet der Mogulkunst und -architektur. Allerdings hatte diese Toleranz durchaus eine machtpolitische Dimension: "Weil sie über die unterschiedlichsten Kulturen herrschen wollten, mussten sie auch für alle verständlich sein."

Ein Bestreben, das auch in der Architektur seinen Ausdruck fand. So wurde der Taj Mahal, das berühmteste Bauwerk des Mogulreichs, bewusst als "universeller" Bau konzipiert. Bauherr war der Enkelsohn Akbars, Schah Jahan, der dieses prachtvolle Bauwerk bekanntlich als Grabmal für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal von 1632 bis 1648 in der damaligen Reichshauptstadt Agra errichten ließ. "Wie viele Paläste der Großmoguln speist sich diese Architektur aus mittelasiatischen, indischen, persischen und auch europäischen Traditionen", sagt die Kunsthistorikerin, die für ihre Studien zehn Jahre in Indien verbrachte. " Solcherart universalisiert war und ist diese Architektur in der Lage, ein sehr heterogenes Publikum anzusprechen."

Der Taj Mahal war damals kein isoliertes Bauwerk, sondern Teil der Flussufergartenstadt Agra. Der Schah, seine Familie und die Elite des Mogulreichs hatten ihre Gartenpaläste zu beiden Seiten des Flusses Jamuna. "Heute lässt sich die Grundstruktur dieser Gartenstadt nur noch auf Luftaufnahmen erkennen", sagt Ebba Koch.

Akribische Rekonstruktion

Durch akribische Quellenstudien konnte die Forscherin die ursprüngliche Anordnung der Gebäude rekonstruieren. Gemeinsam mit einem indischen Experten für das Persisch des 17. Jahrhunderts - die offizielle Sprache des Mogulreichs - hat Koch so nicht nur die Flussufergartenstadt um den Taj Mahal, sondern insgesamt 50 Paläste und Gärten Schah Jahans dem Vergessen entrissen.

Dieser jahrhundertelang verschüttete kunsthistorische Schatz wird nun mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF gehoben. "In den Hofchroniken fanden wir sämtliche Architekturprojekte Schah Jahans genau beschrieben", berichtet Koch, die das Projekt am Institut für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchführt. "Überdies erfuhren wir darin auch einiges über Funktion und Bedeutung der Gebäude." Um diese steingewordene Architekturtheorie anhand der noch existierenden Bauwerke lesbar zu machen, hat sich Ebba Koch auf die Suche nach den architektonischen Relikten der untergegangenen Großmacht begeben.

Tatsächlich konnte sie erstmals einen Großteil der in den Hofchroniken beschriebenen Paläste und architektonisch gestalteten Gärten auch geografisch lokalisieren. "Von den 50 erwähnten Bauwerken existieren heute noch 34, zum Teil jedoch nur noch als Ruinen", fand Koch in zahllosen Expeditionen heraus. Die 28 noch relativ gut erhaltenen Paläste und Gärten hat sie, unterstützt von zwei indischen Architekten, genau vermessen und fotografisch dokumentiert. Auf dieser Basis wurden maßstabgerechte Pläne, Aufrisse und Schnitte der Anlagen angefertigt. " Es handelt sich dabei um den größten Bestand von Palästen und Gärten, die für einen einzelnen Herrscher in der frühen Neuzeit auf dem indischen Subkontinent und in der islamischen Welt errichtet wurden", sagt die Kunsthistorikerin.

Bereits 2006 publizierte Koch die erste wissenschaftliche Gesamtdokumentation des Taj Mahal. Zurzeit arbeitet sie am Buchmanuskript zu den vergessenen Palästen und Gartenanlagen des großen Kunstmäzens Schah Jahan. Um eine Vorstellung von dem 1858 untergegangenen Mogulreich, seiner Kultur und Prachtentfaltung zu bekommen, blieben der Nachwelt - wie auch im Fall von Angkor, dem Zentrum des historischen Khmer-Königreichs im heutigen Kambodscha - vor allem die Zeugnisse der atemberaubenden Architektur.

Ebba Koch hat sie in ihrer 30-jährigen Forschungsarbeit sowohl für die Wissenschaft als auch für "gewöhnliche" Kunstinteressierte wiederbelebt. So hat man selbst in der Fachwelt erst durch ihre Arbeiten registriert, dass Schah Jahan nicht nur für den Taj Mahal und die Palastfestung von Delhi oder die beeindruckenden Schalimar-Gärten von Kaschmir und Lahore verantwortlich zeichnet, sondern auch Bauherr vieler anderer bedeutender Paläste und Gartenanlagen war - wie etwa des Roten Fort von Agra, der Festung von Lahore und zahlreicher Jagdpaläste und Sommerhäuser.

Zwischen den Stühlen

Dass es bis heute noch so viel über die faszinierende Kultur des Mogulreichs aufzuarbeiten gibt, hat komplexe Ursachen, die sich in einer einfachen Tatsache ausdrücken: Es gibt weltweit nur eine Handvoll Experten für dieses große Thema der Kunstgeschichte. Warum? "Mit der Erforschung des Mogulreichs setzt man sich in Hinblick auf Förderungen praktisch zwischen alle Stühle, denn hier lassen sich indische und islamische Kultur nicht trennen", sagt Ebba Koch. "Es fühlen sich deshalb weder die Förderer der einen noch die der anderen Kultur finanziell zuständig."

Dieses Dilemma hat die Forscherin - nicht zuletzt dank der österreichischen Forschungsförderung - in ihrer Arbeit überwunden. "Es ist ein Geschenk, sich so lange mit einer Sache beschäftigen zu können, da man von Jahr zu Jahr tiefer in die Materie eindringt. Das entschädigt für vieles. (Doris Griesser, DER STANDARD, 14./15.8.2012)