Die Aufstellungen der Teams zu Beginn des Spiels. Sowohl Abdullah Avci als auch Marcel Koller vertrauten auf ein 4-4-1-1-System. Die Österreicher unterbanden mit den defensiver als sonst ausgerichteten Mittelfeldflügeln das türkische Flügelspiel, gerieten dafür in der Mitte in die Bredouille. Durch gute Abwehrarbeit der vier zentralen Akteure und etwas Glück wirkte sich das nicht auf der Anzeigetafel aus.

Grafik: derstandard.at/ballverliebt.eu

Wien - 20 Minuten lang hat Österreich gegen die Türkei ziemlich viel richtig gemacht: Kollektiv hohes Pressing gespielt, um den Spielaufbau des Gegners zu unterbinden, ihn mit aggressivem Zweikampfverhalten im Mittelfeld nicht ins Spiel kommen lassen, die Räume in Ballnähe mit gemeinsamem Verschieben eng gemacht, bei Balleroberung die vertikalen Wege nach vorne gesucht und schnell in den Angriff umgeschaltet, zwei Tore erzwungen - das zweite davon sogar schön herausgespielt. Der Unterschied zu der Mannschaft, die sich vor weniger als einem Jahr an derselben Stelle vom selben Gegner mit einfachen Mitteln und ohne Aspirationen ausschalten ließ, war erstaunlich.

Doch als man schon ein bisschen zufrieden auf seinem Sitz im Ernst Happel-Stadion frohlockte, schoss Hamit Altintop aus größerer Distanz in der 19. Minute zum ersten Mal auf das Tor von Robert Almer. Ab da war es um das Team von Marcel Koller plötzlich nicht mehr so gut bestellt, kam es nur noch selten zu Chancen, verlor schnell den Ball und konnte mit dem Pressing des Gegners nicht mehr wirklich umgehen.

Große Abwesende

Koller hatte Österreichs Nationalteam in einem 4-4-1-1 auf den Platz geschickt. Die Abwesenheit von Kalibern wie David Alaba, Marko Arnautovic oder dem nicht voll fitten aber anwesenden Marc Janko nutzte der Trainer für nachvollziehbare Experimente.

Christian Fuchs wanderte ob seiner Vorbereiterstärken auf der Seite ins linke Mittelfeld (und konnte sich dort auch um Altintop kümmern), weil mit Markus Suttner derzeit ein kompetenter Ersatz auf der Linksverteidigerposition vorhanden ist. Linksfuß Andreas Ivanschitz sollte von der rechten Flügelseite aufs Tor ziehen. Martin Harnik durfte den ihm innewohnenden Solostürmer machen, den er nur noch sehr selten spielt. Hinter ihm war es Zlatko Junuzovics Aufgabe, zu lenken. In der Abwehrarbeit verrichteten die beiden flinken "Stürmer" ihre Dienste recht knapp vor der Mittelfeldkette, warteten keineswegs nur auf Bälle.

Baumgartlinger und Kavlak unter Druck

Problematisch war nach der beschaulichen Anfangsphase die Unterlegenheit im zentralen Mittelfeld, wo Torschütze Veli Kavlak und Nebenmann Julian Baumgartlinger trotz ihren formidablen technischen Fähigkeiten übermannt wurden. Zwischen den türkischen Mittelfeldspielern und Stürmern, zu denen sich im extremsten Fall auch noch einer der Innenverteidiger der Gäste gesellte, waren sie numerisch unterlegen und wirkten zeitweise desorientiert. 

Österreichs zentralen Mittelfeldspielern gelang es zwar verlässlich, den Gegner zu stoppen, jedoch vermochten sie in Zonen-Unterzahl nicht mehr, Bälle zu behaupten und kontrolliert weiterzuspielen. Meist kam deshalb nach dem Ballgewinn der schnelle Ballverlust. Die Teilnahme am immer wieder aufblitzenden (und effektiven) Offensivpressing mussten die Beiden deutlich zurückschrauben.

Was zu Beginn als bewusste Aufgabe des Ballbesitzes zugunsten eines temporeichen, stichartigen Konterspiels begann, schlug nun in mehr Nachlaufarbeit um, als dem Team lieb war. Die konservativ formierte Verteidigung (mit den passiven Außenverteidigern und zurückhaltenden Innenverteidigern) der Österreicher ließ zwar nicht viel zu, konnte aber doch nicht alle Chancen unterbinden. Genügend um das Spiel auszugleichen oder gar zu gewinnen, hätten die Gäste jedenfalls vorgefunden. Sie vergaben diese aber zum Teil stümperhaft mit schlechten Ballmitnahmen (22.) oder Abschlüssen (66.) oder wurden von Almer (19., 49.) und seinen herausragenden beiden unmittelbaren Vordermännern Sebastian Prödl (30., u.a.) und Emanuel Pogatetz in letzter Sekunde gestoppt - zeitweise auch mit mehr Fouls, als in Bewerbsspielen ratsam wäre (38., 50.).

Wenige Angriffe

Dass zur Stabilisierung des Zentrums sich auch Junuzovic öfters zurückfallen ließ, geriet zum Problem für Harnik, der im Angriff gegen drei bis vier Türken immer wieder isoliert wirkte und versuchte, die Abwehr mit Ausweichmanövern über die Seite zu beschäftigen. Über die Flügel kam wenig Hilfe, sie standen system- und gegnerbedingt zu weit hinten. Die Distanz zum Tor war für alle österreichischen Angreifer also etwas zu groß.

Das Angriffsspiel der Österreicher erlosch also zunehmend. Bis zur (wegen zahlreicher Wechsel und vorsaisonaler Erschöpfung recht aussagelosen) Schlussphase, verzeichneten die Österreicher nach dem 20-minütigen Anfangsspektakel nur noch zwei bis drei Torchancen (Junuzovic vergab nach der einzigen nennenswerten Fuchs-Hereingabe (31.); Ivanschitz wurde in aussichtsreicher Position fragwürdig aus einem Abseits zurückgepfiffen (38.); Suttner verfehlte mit einem seiner wenigen Vorstöße das Tor (68.)).

Koller brachte mit Jakob Jantscher (statt Ivanschitz) nach einer Stunde und wenig später mit Christoph Leitgeb (für Junuzovic) und Rubin Okotie (anstelle von Harnik) frische Kräfte im etwa gleichbleibenden System. Die Eingewechselten erledigten ihre Sache wie auch die Ausgewechselten gut. Österreich kam zwar selbst nicht wesentlich besser ins Spiel, die Türkei allerdings auch nicht mehr.

Fazit

Kollers ÖFB-Auswahl zeigt vor allem in der Anfangsphase, dass es bei Automatismem im Pressing und Umschaltspiel sichtbare Fortschritte macht. Von der türkischen Drangperiode zur Mitte der ersten Halbzeit erholte sich das Team aber nie mehr ganz, verlagerte sich (immerhin in Führung liegend) auf das Eindämmen der gegnerischen Bemühungen. Das gelang über weite Strecken - fallweise halfen Glück und Einzelleistungen. Auch wenn man sich über einen 2:0-Sieg über die Türkei (in Abwesenheit einiger Stammspieler) nicht beschweren möchte, sollte man dennoch die tatkräftige Mithilfe der Gäste bei diesem Ergebnis nicht vergessen. Das Spiel hätte - ohne großartig anders auszusehen - auch höher gewonnen oder verloren werden können. Teamchef Koller schien die Leistung nach dem Spiel auch dementsprechend einzuordnen, verwies darauf, dass noch viel Arbeit vor dem Team läge.

Seine Reaktionen auf Problemzonen im Match waren eher chirurgischer Natur, prinzipiell hielt er an System und Strategie fest. Selbst dass man im zentralen Mittelfeld die Kontrolle über das eigene Angriffsspiel verlor, lockte ihn zu keiner drastischen Umstellung. Unmittelbar nach dem Spiel meinte er dazu, man müsse akzeptieren, dass solche Gegner halt Dinge (wie Pressing) auch "verdammt gut" machen können. (tsc, derStandard.at, 16.8.2012)