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Stress erhöht das Risiko, körperlich oder psychisch zu erkranken. Epigenetische Veränderungen könnten ein wichtiges Bindeglied zwischen Stress und chronischen Erkrankungen sein.

Bochum - Akuter Stress verändert die Methylierung der Erbsubstanz und damit die Aktivität bestimmter Gene. Das berichten Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) gemeinsam mit Kollegen aus Basel, Trier und London erstmals in der Zeitschrift "Translational Psychiatry". "Damit liefern wir einen neuen Ansatz, wie Stress mit einem höheren Risiko für psychische oder körperliche Krankheiten zusammenhängen könnte", sagt Gunther Meinlschmidt von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums der RUB. Das Team untersuchte Gen-Abschnitte, die für die biologische Stressregulation bedeutsam sind.

Die Epigenetik reguliert Genaktivität

Unsere Erbsubstanz, die DNS, liefert die Bauanleitung für die Proteine, die unser Körper braucht. Welche Proteine eine Zelle produziert, hängt vom Zelltyp und der Umwelt ab. Sogenannte epigenetische Informationen bestimmen, welche Gene abgelesen werden; sie fungieren quasi als biologische Schalter. Ein Beispiel für solche Schalter sind Methyl (CH3)-Gruppen, die sich an spezielle Abschnitte der DNS heften und dort lange Zeit verbleiben können - selbst wenn sich die Zelle teilt. Frühere Studien zeigten, dass belastende Erlebnisse und psychische Traumata in frühen Lebensjahren langfristig mit veränderter DNS-Methylierung einhergehen. Ob sich die DNS-Methylierung aber auch nach akutem psychosozialem Stress ändert, war bislang unbekannt.

Zwei Gene im Test

Um diese Frage zu klären, untersuchte die Forschergruppe insbesondere zwei Gene: das Gen für den Oxytocin-Rezeptor, also der Andockstelle für den als „Vertrauenshormon" oder „Antistresshormon" bekannt gewordenen Botenstoff Oxytocin, sowie das Gen für den Nerven-Wachstumsfaktor "Brain-Derived Neurotrophic Factor" (BDNF), der vor allem für die Entwicklung und Vernetzung von Hirnzellen verantwortlich ist. Die Wissenschaftler testeten 76 Personen, die an einem fiktiven Jobinterview teilnahmen und unter Beobachtung Rechenaufgaben lösen mussten - ein bewährtes Mittel, um im Experiment akuten Stress auszulösen. Für die Analyse der DNS-Methylierung nahmen sie den Probanden vor dem Stresstest sowie 10 und 90 Minuten danach Blut ab.

Stress hatte keinen Einfluss auf die Methylierung des BDNF-Gens. In einem Abschnitt des Oxytocin-Rezeptor-Gens stieg sie jedoch bereits in den ersten zehn Minuten nach der Stresssituation an. Das legt nahe, dass die Zellen weniger Oxytocin-Rezeptoren bildeten. 90 Minuten nach dem Stresstest fiel die Methylierung dann unter das Ausgangsniveau vor dem Test. Das deutet an, dass die Rezeptorproduktion übermäßig angekurbelt wurde.

Mögliches Bindeglied zwischen Stress und Erkrankungen

Stress erhöht das Risiko, körperlich oder psychisch zu erkranken. In den vergangenen Jahren wurden Hinweise gesammelt, dass epigenetische Prozesse an der Entstehung verschiedener chronischer Krankheiten, wie Krebs oder Depression, beteiligt sind. "Epigenetische Veränderungen sind womöglich ein wichtiges Bindeglied zwischen Stress und chronischen Erkrankungen", so Meinlschmidt, Leiter der Forschungssektion für Psychobiologie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum der RUB. "Wir hoffen, künftig komplexere epigenetische Stressmuster zu identifizieren und das damit verbundene Erkrankungsrisiko bestimmen zu können. Das könnte Hinweise auf neue Behandlungs- und Präventionsansätze liefern", lautet das Fazit des Forschers. (red, derStandard.at, 16.8.2012)