Wie weit wird es Silvio Berlusconi noch treiben? Diese Frage musste man sich bisher vornehmlich mit Blick auf die inneritalienischen Verhältnisse stellen. Mit 1. Juli allerdings erweitert der römische Regierungschef seinen Wirkungskreis beträchtlich. Als EU- Ratspräsident, kündigte Berlusconi an, wolle er sich "als Koordinator und Führer" der Union positionieren. - Das klingt in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen mit dem Herrn im Palazzo Chigi wie eine gefährliche Drohung.

"Europa attenzione! Achtung Europa!", warnte der angesehene Turiner Philosoph Gianni Vattimo am Freitag in der Süddeutschen Zeitung. Nach diversen, innovativ geregelten persönlichen Problemen daheim habe Berlusconi nun viel Zeit, sich voll und ganz der EU zu widmen. Und dabei könnte der Cavaliere den Bazillus einer "erodierenden Demokratie" über die Alpen tragen, ja die Union mit jener ihm eigenen "Eifrigkeit und Effizienz" so ruinieren wie jetzt Italien.

Berlusconi hat in den gut zwei Jahren seit seinem Regierungsantritt tatsächlich alles getan, um der italienischen Demokratie nachhaltig zu schaden: Vor wenigen Tagen hat er ein Immunitätsgesetz durchs Parlament gedrückt, das all seine Strafprozesse sistiert und die Justiz der Lächerlichkeit preisgibt. Im geplanten Mediengesetz ist keine Rede mehr von der vor den Wahlen 2001 hoch und heilig versprochenen Lösung des prekären Interessenkonflikts des Medienpremiers. Und auch sonst hat sich Italiens erster Staatsmanager alle Mühe gegeben, Gemeinwohl mit Eigennutz zu verwechseln und das Land international wie eine Bananenrepublik aussehen zu lassen.

Allein: Vorsicht scheint angebracht, Alarmismus doch übertrieben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Berlusconis exzentrisches Demokratieverständnis auf die EU übertragen könnte, ist einigermaßen gering. Das zeigt auch seine Agenda für den italienischen Vorsitz: Neue Wege in Sachen Immigration sind nicht nur für Italien von vitalem Interesse, das von Giulio Tremonti geschnürte Konjunkturpaket decouvriert den vorgeblichen Manchesterliberalen Berlus^coni als veritablen Staatsinterventionisten, und ein EU-Verfassungsfest 2004 in Rom ist bestenfalls etwas für jene "bella figura" Italiens, wie sie die Beamten im römischen Außenministerium nun unbedingt machen wollen.

Das heißt nicht, dass Berlus^coni in der EU nicht nach seiner Manier umrühren wird. Natürlich wird das Mailänder Marketinggenie, von dem selbst Feinde ehrfürchtig behaupten, er könne Eskimos kühl lächelnd Gefrierschränke verkaufen, für einige Brüsseler Überraschungen in hoher Preisklasse gut sein: Von einem EU-Beitritt Russlands etwa hat er bereits gefaselt oder den Muslimen ihre Inferiorität ausgerichtet. Aber dass Berlusconi mit den Partnern in der Union so umspringen könnte wie mit seinen Koalitionslakaien oder der schwachbrüstigen italienischen Opposition, ist doch zweifelhaft. "Italienische Verhältnisse" in Brüssel sind nicht zu befürchten.

Einzig im europäisch-amerikanischen Porzellanladen, in dem derzeit mühsam gekittet wird, könnte Berlusconi mit eilfertiger Servilität für seinen "good friend George" wieder für Glasbruch und Scherben sorgen. Diesbezüglich allerdings, das hat der Brief der acht Europäer vor dem Irakkrieg gezeigt, ist der transatlantisch ausgerichtete Italiener nicht der einzige Verdächtige in unseren Breiten.

Europa attenzione! - sicher, das gilt. Andererseits sind sechs Monate in der langmütigen EU keine Ewigkeit. Und außerdem sind die Wege der italienischen Innenpolitik zuweilen unergründlich und unfreiwillig selbstheilend. Silvio Berlusconis Beschwörungsformeln auf die Einheit der italienischen Mitter-rechts-Regierung klingen derzeit verdächtig eindringlich. Gut möglich, dass ausgerechnet der Lega-Nord-Chef und Europafresser Umberto Bossi ("Die EU ist ein stalinistische Gebilde") die Koalition platzen lässt und der Union ein ganzes Semester mit einem Präsidenten Berlusconi erspart. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.6.2003)