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Der Tiroler Arzt Maximilian Ledochowski zeigt sich schockiert darüber, wie derzeit das Thema Übergewicht diskutiert wird. "Adipositas ist eine Krankheit, die viele unterschiedliche Ursachen haben kann. Es widerspricht dem Solidaritätsprinzip, die Menschen dafür verantwortlich zu machen", so die Überzeugung des Mediziners.

Foto: apa/Ralf Hirschberger

Es wird eng für dicke Menschen. Immer öfter will man sie für ihre ungesunde Lebensweise zur Kasse bitten. In Arizona wurde zuletzt eine jährliche "Fat Tax" in der Höhe von 50 Dollar diskutiert. Eine Billigairline plante einen "Gewichtszuschlag" für Fettleibige, und ein niederländisches Verkehrsunternehmen kündigte an, keine stark übergewichtigen Busfahrer mehr zu beschäftigen. Rückendeckung bekam der Betrieb dabei von höchster Ebene: Der Arbeits- und Sozialminister der Niederlande meinte, Arbeitnehmer seien verpflichtet, sich für ihren Job fit zu halten.

Mit dieser Aussage sicherte er sich nicht nur den Zorn der Gewerkschaften, sondern brachte auch ein heikles Thema auf die politische Agenda: Wie belastend sind Dicke für das Gesundheits- und Sozialsystem, und sollte man sie dafür zur Verantwortung ziehen? Allein die Frage empört den Tiroler Arzt Maximilian Ledochowski bereits: "Adipositas ist eine Krankheit, die viele unterschiedliche Ursachen haben kann. Es widerspricht dem Solidaritätsprinzip, die Menschen dafür verantwortlich zu machen."

Österreichisches Belohnungsprinzip

Doch auch in Österreich gibt es bereits solche Tendenzen. Nicht mit Bestrafung, sondern mit einer Belohnung versucht die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft seit Jahresbeginn ihre Versicherten zu einem gesünderen Lebensstil zu motivieren. Im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung sollen mit dem Arzt fünf Gesundheitsziele vereinbart werden. Sechs Monate später wird überprüft, ob die Ziele auch erreicht wurden: Wer abgespeckt hat, nicht raucht, nur mäßig Alkohol trinkt und auf seinen Blutdruck achtet, wird mit einer Halbierung des Selbstbehalts belohnt. Für alle, die ohnehin schon gesund leben und gute Wert haben, ist das Aufrechterhalten des Status quo das Ziel.

Starke Resonanz

Das Interesse an diesem Bonusprogramm ist groß. Um 50 Prozent mehr SVA-Versicherte gingen in den ersten vier Monaten des Jahres zur Vorsorgeuntersuchung als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Wie viele von ihnen auch in den Genuss des Bonus kommen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

"Wir haben bei dem Programm sehr darauf geachtet, niemanden zu diskriminieren. Stark Übergewichtige stecken sich anfangs kleinere Ziele, die sie auch erreichen können", betont der geschäftsführende Obmann der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft, Peter McDonald. Jemand, der 120 Kilo auf die Waage bringt, müsste laut Programm innerhalb eines halben Jahres sechs Kilo abnehmen. Für Raucher gilt allerdings nur "ganz oder gar nicht": Sie bekommen den Bonus nur bei totalem Nikotinverzicht.

Bruch mit Solidaritätsprinzip?

Während in Deutschland die Krankenkassen schon seit vielen Jahren ihre Versicherten für einen gesunden Lebensstil belohnen, beschreitet die SVA mit ihrem Programm "Selbstständig gesund" in Österreich neue Wege. Dabei stößt sie nicht nur auf Zustimmung, sondern reißt damit auch weltanschauliche Gräben auf. Denn was für die einen ein vernünftiger Anreiz ist, ist für die anderen bereits ein Bruch des Solidaritätsprinzips und eine ungerechte Bestrafung von Menschen, die es ohnedies schon schwer im Leben haben. Denn, so argumentiert etwa Maximilian Ledochowski: "Jeder Bonus ist ein Malus für alle, die ihn nicht bekommen."

Doch die Forderung nach mehr Eigenverantwortung scheint sich auch hierzulande stetig auszubreiten. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ökonsult meinen fast 60 Prozent der Österreicher und Österreicherinnen, dass Menschen, die nachweislich aktiv zu ihrer Gesundheit beitragen, weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen sollten.

Fett- und Zuckersteuer

Einen anderen Weg zur Reduktion der kollektiven Körpermasse schlug zuletzt Uno-Sonderbeauftragter Olivier de Schutter vor. Ginge es nach ihm, sollten reiche Industrienationen mit Steuern auf ungesunde Lebensmittel ihre Bürger zur Umstellung der Ernährungsgewohnheiten bewegen. Experten meinen, dass schon die Beschränkung des Marketings für Dickmacher Erfolge im Kampf gegen das Übergewicht brächten. Bereits seit Jahren deckt die Lobbygruppe Foodwach die miesen Tricks der versteckten Kalorien-Verführer auf. In diesem Jahr verlieh sie den "Goldenen Windbeutel", einen Schmähpreis für die irreführendste Werbekampagne, an die Firma Hipp für ihren Instant-Kindertee. Obwohl für Kleinkinder empfohlen, finden sich darin pro 200-Milliliter-Tasse zwei Stück Würfelzucker. Hipp hat den Preis zwar nicht angenommen, aber verkündet, den Tee bis Jahresende vom Markt zu nehmen. (Andrea Fried, DER STANDARD, 17.8.2012)