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Maria Alyokhina, Yekaterina Samutsevich und Nadezhda Tolokonnikova wurden Freitagnachmittag in Moskau wegen "Rowdytums" zu zwei Jahren Haft verurteilt.

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Eine von mehr als 70 Festnahmen vor dem Moskauer Gericht.

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"Feminismus ist keine Todsünde und keine widernatürliche Regung", so eine Pussy Riot-Sympathisantin in Wien.

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Am Wiener Minoritenplatz versammelten sich UnterstützerInnen vor der Inszenierung "Unzensiert TV".

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Moskau/Wien/Brüssel - Keine Gnade für Putin-Gegnerinnen: Nach ihrem Protest gegen Präsident Wladimir Putin in der Erlöserkathedrale müssen die drei feministischen Musikerinnen von Pussy Riot ins Straflager. In dem international umstrittenen Strafprozess begründete Richterin Marina Syrowa die Verurteilung zu je zwei Jahren am Freitag in Moskau mit "Rowdytum aus religiösem Hass". EU, USA und OSZE kritisierten das Urteil scharf.

Gefühle der Gläubigen "aufs Gröbste verletzt"

Die Staatsanwaltschaft hatte für die Künstlerinnen Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (30) je drei Jahre Gefängnis beantragt, die Verteidigung Freispruch. Anfang August hatte sich auch Putin zum Prozess geäußert und ein "mildes Urteil" gefordert. "Ich denke nicht, dass sie allzu hart dafür bestraft werden sollten", meinte er. Zugleich betonte Putin, dass es Aufgabe des Gerichts sei, ein Urteil zu fällen. Die Verteidigung will das Urteil anfechten. Die Untersuchungshaft von knapp sechs Monaten werde angerechnet, sagte Richterin Syrowa. Die Angeklagten hatten wiederholt menschenunwürdige Bedingungen in der U-Haft beklagt.

Die Richterin warf den Frauen während der mehr als zweieinhalbstündigen Urteilsverkündung vor, mit ihrem Protest in der Erlöserkathedrale in Moskau am 21. Februar die "Gefühle der Gläubigen auf das Gröbste verletzt" zu haben. Die Künstlerinnen hatten dort ein Punkgebet gegen Putin und den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill aufgeführt.

Proteste im Gerichtssaal: "Schande!"

Während der Urteilsverkündung im Gerichtssaal riefen ZuhörerInnen "Schande!". Die mit Handschellen gefesselten Angeklagten verfolgten den Richterinspruch in einem Kasten aus kugelsicherem Plexiglas gelassen. Bei Protesten vor dem weiträumig abgesperrten Gerichtsgebäude wurden mindestens 60 UnterstützerInnen der Künstlerinnen festgenommen, darunter Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Oppositionsführer Sergej Udalzow. Der Menschenrechtsbeauftragte des Kreml, Michail Fedotow, kritisierte den Schuldspruch als "gefährlichen Präzedenzfall".

EU fordert Revision

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte umgehend eine Revision des Urteils, mit dem Moskau gegen internationale Verpflichtungen verstoße. Die US-Botschaft in Moskau nannte das Urteil "unverhältnismäßig". Auch Staatsekretär Waldner sprach von einer "völlig unverhältnismäßigen Strafe". "Eine friedliche Kunstaktion kann nicht als Verbrechen gelten, das zu einer langanhaltenden Inhaftierung führt", unterstrich der frühere langjährige Kulturmanager in einer Aussendung. Ähnlich äußerte sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. "Das harte Urteil steht in meinen Augen in keinem Verhältnis zur Aktion der Musikgruppe", sagte er dem "Tagesspiegel" (Samstag). Die Pressefreiheits-Beauftragte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Dunja Mijatovic, betonte, freie Meinungsäußerung dürfe "unter keinen Umständen zu Gefangenschaft führen".

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz, machte Putin für das Urteil persönlich verantwortlich. "Das ist Putins Prozess gewesen. Es ist Putins Urteil. Und es ist ein Urteil, das jeder Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit hohnspricht", unterstrich der CDU-Politiker.

SPÖ-Menschenrechtssprecherin Petra Bayr sagte, Europa dürfe "nicht weiter tatenlos zuschauen, wie das Putin-Regime Menschenrechte und Meinungsfreiheit tagtäglich aufs Neue mit Füßen tritt." Auch KünstlerInnen des Internationalen Literaturfestivals Berlin, darunter die LiteraturnobelpreisträgerInnen Elfriede Jelinek und Mario Vargas Llosa, kritisierten das Vorgehen gegen die drei Musikerinnen. "Mit der Verurteilung der drei Frauen von Pussy Riot hat Russland endgültig den Kreis der demokratischen Rechtsstaaten verlassen", stellt Judith Schwentner, Frauensprecherin der Grünen, in einer Aussendung fest. "Hier werden drei Frauen allein für verbale Kritik am Präsidenten ins Gefängnis gesteckt."

Gnadengesuch: "Machen Sie Witze?"

Die AnwältInnen von Pussy Riot wollen das Urteil in der nächsten Instanz anfechten. Einem Gnadengesuch an Putin erteilten die Künstlerinnen im Vorfeld eine Absage. "Machen Sie Witze? Natürlich nicht. Eher sollte er uns und Sie um Gnade bitten", schrieb Tolokonnikowa der regierungskritischen Zeitung "Nowaja Gaseta". Eine Flucht ins Exil lehnte sie wie ihre Mitangeklagten ab.

Weltweite Proteste ...

Weltweit demonstrierten Menschen für eine Freilassung von Pussy Riot. In Moskau und Bulgarien stülpten AnhängerInnen der jungen Frauen Denkmälern bunte Sturmhauben über, das Markenzeichen von Pussy Riot. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew fällte eine Aktivistin der feministischen Gruppe Femen ein großes Holzkreuz mit einer Motorsäge. Die Miliz leitete ein Verfahren wegen Landfriedensbruches ein. In Warschau gingen hunderte Menschen auf die Straßen und sangen das Punkgebet von Pussy Riot.

... auch in Wien

Auch in Wien trafen sich etwa 150 AktivistInnen nach einem Aufruf von Rosa Antifa Wien. Sie zogen vom Burgtheater zum Minoritenplatz und weiter auf den Michaelaplatz über den Graben zur Oper. In einer Inszenierung mit dem Titel "Unzensiert TV" wurde auch auf Repression gegen regierungskritische Personen in vielen Staaten der Welt hingewiesen. Die APA berichtet von Wiener DemonstrantInnen, die in den Wiener Stephansdrom eindrangen. Dort skandierten sie eine halbe Minute lang Parolen für Pussy Riot, bevor sie vom Sicherheitspersonal hinauskomplimentiert wurden. Gegenüber dieStandard.at erklärten einige Protestierende ihre Botschaft an den russischen Präsidenten:

"Free Pussy Riot" skandierten sie am Ende der Inszenierung, ehe sie durch die Wiener Innenstadt weiterzogen. In einem Flugblatt der Rosa Antifa Wien heißt es, dass sich die Kritik von Pussy Riot an Kirchen und Nationalismus richte, "sie ist explizit feministisch, antisexistisch und tritt gegen Homophobie und Rassismus auf. Pussy Riot sind unbequem". (APA, Reuters, red, dieStandard.at, 17.8.2012)