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Supermarktketten und Kaufhäuser wissen genau, wie sie den Käufer zu den Produkten lotsen.

Foto: dapd/Timur Emek

Psychologische und neurologische Erkenntnisse fließen in die Präsentation auch alltäglicher Waren. Der Konsumpsychologe Josef Sawetz forscht und beobachtet, wie es zur Kaufentscheidung kommt.

 

Wien - Die Konsumenten schieben ihre Einkaufswägen durch die langen Gänge des Supermarkts. Es ist angenehm kühl, die Musik nicht zu laut und nicht zu leise. Die Kunden wissen ziemlich genau, wo sie was finden - und bemerken nicht, dass sie trotz aller Kauferfahrung immer wieder mal dirigiert, ja manipuliert werden.

Zum Beispiel vor den Marmeladen. Eigentlich benötigte der Kunde ja nur eine - tja, was für eine? Vor gut zweieinhalb mal eineinhalb Metern Regalfläche resigniert der Kunde erst mal. Der mentale Entscheidungsstress, ja Überforderung, die da ausgelöst wird, ist Absicht, weiß der Kommunikationspsychologe Josef Sawetz von der Universität Wien. Denn dann kann dem Kunden mit Psychotricks zur Hand gegangen werden: Entscheidungshilfen in Form von Preisaktionen oder Nimm-zwei-zahl-eins-Angeboten führen dort hin, wo man den Kunden haben will: "Der Kunde soll ein zufriedenes Gefühl bei seiner Einkaufsentscheidung haben." In der Vielfalt des Angebots nimmt der Kunde Orientierungshilfen gerne an - die Psychologen sagen dazu: Er nimmt eine mentale Abkürzung.

Sawetz beschäftigt sich seit Jahren mit den Kernfragen, die jeden Händler und jeden Produzenten bewegen: Was passiert zwischen Wahrnehmung und Entscheidung? Welche Prozesse finden im Gehirn statt, und was ist zu tun, damit es möglichst häufig zu dem kommt, worum es im Handel vor allem geht: dem Akt des Kaufens.

In den USA fließen die Erkenntnisse verschiedenster Wissenschaftsrichtungen in die "Persuasive Kommunikation" - ein Milliardengeschäft. In Europa, in Österreich ist die Umsetzung nicht so flott - glücklicherweise, wie Sawetz meint. Denn natürlich sind die Möglichkeiten zur "Modulation von Emotionen und Urteilsprozessen", wie Sawetz es nennt, ein zumindest diskussionswürdiges Unterfangen. "Nicht alle Erkenntnisse, die etwa in der Neurowissenschaft gewonnen werden, sollen und dürfen genutzt werden", erklärt er. Noch gruseliger wird die Vorstellung, solche und künftige Erkenntnisse werden in anderen Bereichen als beim Kauf von Schuhen oder Wattestäbchen angewendet.

Harmlos dagegen, was Sawetz im Supermarkt vorzeigen kann. Im Regal mit den Zahnbürsten wird ein Instrument angewendet, das die Psychologen "Tendenz zur Mitte" nennen: Die Preise der meisten Zahnbürsten bewegen sich in einem Band von zwei, drei Euro. Nur eine, gar nicht besondere Bürste ist besonders teuer: sechs Euro 50. Mit dem teuren Produkt wird die "preisliche Mitte" verschoben, erläutert Sawetz. Wenn der Kunde zu den normalpreisigen Zahnbürsten greift, glaubt er, im guten Preis-Leistungs-Verhältnis gekauft zu haben.

Ein anderes Prinzip kommt gerne in den vornehm-nussbraun gehaltenen Weinabteilungen der Supermärkte zum Tragen: Versklavungsprinzip, ein Begriff aus der Systemtheorie, wird verwendet, wenn zum teureren Wein gegriffen wird - obwohl der billigere doch auch ein schönes Etikett hat: "Da spielt klassische Musik eine wichtige Rolle", erläutert Sawetz.

Die Assoziationskette, die da blitzschnell in den Gehirnen abläuft: TV-Serien und Filme zeigen häufig gehobene Gesellschaften - dort gibt's oft klassische Musik zu hören -, daraus folgt, dass beim Käufer ein gehobenes Lebensgefühl hervorgerufen wird, wenn er klassische Musik hört. Die Musik im Ohr, führt dieses gute Lebensgefühl beim Käufer dazu, dass er sich was Besonderes leisten will - und das wiederum kann in den Kauf einer teuren Flasche Weins münden.

Die Wissenschaft ist sehr weit bei der Erforschung dessen, was "Orientierungsreaktionen" nach einem Reiz betrifft. Dies deshalb, weil evolutionstechnisch gesehen besonders "alte" Strukturen unseres Gehirns für die allererste Emotion zuständig sind, wenn wir auf etwas stoßen, etwa einen "Eyecatcher", eine besonders auffällige Platzierung.

In der von Anglizismen gespickten Wissenschaft wird dabei auch der Spruch "What fires to gether wires together" verwendet, ein vom US-Psychologen Donald Olding Hebb geprägter Begriff: Gelernte Assoziationsketten funktionieren selbst dann, wenn nur ein Reiz vorhanden ist, wie das Beispiel der klassischen Musik, die unterstützend für Weinkäufe funktioniert, zeigt. - Und dies interessanterweise bei den unterschiedlichsten Zielgruppen.

Da ist es zum "Zombiesystem" nicht weit. "Wir wissen mittlerweile, dass aus einer leichten Überforderung, etwa durch Sortimentsvielfalt oder bewusste Umstellungen, eine leichtere Verführbarkeit resultiert", sagt Sawetz. Immer dann greifen wir besonders gerne zu bei dem, was uns so dargeboten wird. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 18./19.8.2012)