"Läuft auch heute noch den stylishen neuen Shops spielend den Rang ab": Adold Loos' Manz-Portal am Kohlmarkt.

Foto: Christoph Lingg / Manz

Wer über den Wiener Kohlmarkt geht, kommt bei der Nummer 16 zur Buchhandlung Manz, gelegen zwischen einem Juwelier mit klingendem Namen und dem weltbekannten Hofzuckerbäcker Demel. Eigentlich verweist nur der vergoldete Firmenschriftzug eindeutig auf die Zeit der Entstehung, ansonsten fügt sich das 1912 von Adolf Loos (1870-1933) erbaute Portal in seiner zeitlosen Eleganz scheinbar nahtlos in die Architektur der "Luxusmeile" ein.

Dass Loos' Bauten zur Zeit ihrer Entstehung durchaus nicht von allen als "zeitlos" eingeschätzt wurden, ist bekannt. Weitgehend unbekannt ist jedoch, dass die Überlegungen, die sein Architekt vor einhundert Jahren bei der Gestaltung anwandte, bis heute zum Vokabular der Shop-Architektur gehören: Der vom Gehsteig zurückversetzte, indirekt beleuchtete Eingang bildet eine Einbuchtung, die gleichsam einen Sog auf die Passanten ausübt und zugleich die Schaufenster- und Präsentationsfläche erhöht.

Mit dem sachkundigen Einsatz edler Materialien hat Loos dafür gesorgt, dass das Manz-Portal auch heute noch den stylishen neuen Shops am Kohlmarkt spielend den Rang abläuft: Er verwendete weißgeäderten schwarzen Marmor, vergoldete die Buchstaben und täfelte die Auslagen mit Mahagoni - ungewöhnlich für eine Zeit, in der man Marmor gerne mit bemaltem Gips imitierte und mit industriell gefertigten Neorenaissance-Versatzstücken ("angenagelter Cementguss", so Loos abschätzig) Fassaden schmückte, die heute im Immobilienmakler-Deutsch als "reich gegliedert" gepriesen werden. Loos hingegen betonte die Würde des Materials und gab der Funktionalität den Vorzug vor der Repräsentation. Er gilt daher zu Recht als einer der Väter der architektonischen Moderne.

Ursprünglich Umschlagplatz für Holzkohle, hat sich der Kohlmarkt zu einer der begehrtesten Geschäftslagen Europas gemausert - mit allen Begleiterscheinungen, die ein solcher Wandel mit sich bringt: Die kleinen Boutiquen und Geschäfte sind weitgehend verschwunden und haben den globalen Luxusmarken Platz gemacht, die ihrerseits hoffen dürfen, am Nimbus dieser rund 200 Meter "Altösterreich" mitzunaschen. Heute drängen sich hier rund ums Jahr Touristen aus aller Herren Länder. In den letzten Jahren hat der Anteil der Gäste aus den ehemaligen "Kronländern" wieder spürbar zugenommen, und das Sprachengemisch sich wieder ein wenig jenem von vor einhundert Jahren angenähert.

Wer zur Jahrhundertwende hier, im Herzen der Reichshauptstadt, eine Geschäftsadresse aufweisen konnte, der war in gewisser Weise einzigartig und nicht selten in "k. u. k." Auftrag tätig - so etwa die Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung. Bei Manz führte man - ähnlich wie bei Artaria, Demel oder Rozet & Fischmeister - seine Geschäfte gewissermaßen in Sichtweite des Kaisers.

Der Lehrer und Schulbuchautor Markus Stein, Sohn eines Landwirts, war - wie viele andere Juden - aus Böhmen nach Wien gekommen und führte seit 1883 als Prokurist die "k. k. Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung". Gegründet hatte sie 1849 der Norddeutsche Friedrich Manz; 1883 hatte das Leipziger Verlagshaus Julius Klinkhardt die Buchhandlung von Friedrichs Sohn Hermann gekauft. Diesem wiederum war kein Glück beschieden: Gemeinsam mit Friedrich Gerold jun. führte er die Buchhandelsfirma Gerold & Co., bis er, gebrochen vom geschäftlichen Misserfolg, 1896 freiwillig aus dem Leben schied. Den Namen der Verlagsbuchhandlung mit dem begehrten Prädikat "k. u. k" behielten die Nachfolger freilich bei.

Markus Steins Sohn Richard absolvierte eine "Blitzkarriere": Akademisches Gymnasium, "Einjährig-Freiwilliger" bei einem noblen Dragoner-Regiment, Jus-Studium mit Promotion, Buchdruckerlehre in Leipzig und schließlich eine taktisch kluge Heirat mit der Tochter des Leipziger Chefs, Frieda Klinkhardt. Gemeinsam mit seinem Vater verhalf der kaufmännisch überaus geschickte Richard Stein dem Verlag zu einer Blüte, die den Grundstein für den bis heute anhaltenden Erfolg des Hauses legte.

"Die Manz'sche Sammlung der österreichischen Gesetze steht vielleicht einzig in der Welt da. Die handlichen schwarzen Bände sind die steten Begleiter aller Juristen und Verwaltungsbeamten und haben fast überall die officiellen Gesetzesausgaben verdrängt", schrieb Carl Junker, Chronist des österreichischen Buchhandels, im Jahr 1914. Aus schwarzen Büchern wurde rote: Seit den 1970er- Jahren erscheinen die meisten Manz-Titel in einem geschützten Rot-Ton.

Die Familie Stein verkehrte zur Jahrhundertwende und in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg beruflich und privat mit der geistigen und künstlerischen Elite der Hauptstadt und führte eines der wichtigsten und erfolgreichsten Verlagshäuser der k. u. k. Monarchie. Die Geschwister Richards konnten, unbeschwert vom Tagesgeschäft, ihren Neigungen leben: Bruder Erwin tat sich als Schü- ler Arnold Schönbergs hervor (und sorgte später, in seinem Londoner Exil, für dessen Rezeption im angelsächsischen Raum), Schwester Paula (verh. Kemperling) war weitgereiste Theosophin, Schwester Helene (verh. Winger) Malerin; Schwester Emmy führte bis zu ihrem Lebensende die Debitorenkonten bei Manz.

Nach nur einem Vierteljahrhundert war die Familie Stein ganz in Wien angekommen und gehörte jener kulturtragenden, großbürgerlichen Gesellschaftsschicht des Kaiserreichs an, die zu einem großen Teil aus assimilierten Juden bestand. Dass der Verlag Manz noch heute im Besitz der Familie Stein steht, verdankt sich der Loyalität einiger Verlagsmitarbeiter während des Dritten Reichs: Robert und Walter Stein, Richards Söhne, übertrugen die Geschäfte "arischen" Angestellten, die nach dem Krieg ohne weiteres wieder in die zweite Reihe zurücktraten - ein seltener Fall von Kontinuität in der österreichischen Nachkriegs-Wirtschaftsgeschichte.

All dies lag 1909 noch in weiter Ferne: Dem Verlag ging es glänzend, und seit 1910 waren die Steins per Buyout Alleingesellschafter. Zur selben Zeit wandelte sich das Gesicht des benachbarten Michaelerplatzes noch einmal grundlegend: Rund zwanzig Jahre zuvor hatte schon das alte Hofburgtheater dem Michaelertrakt der Hofburg weichen müssen, zehn Jahre später war das Gebäude, in dem sich das berühmte Café Griensteidl befand (Michaelerplatz 2), abgerissen worden. Und nun ließ der prominente Herrenausstatter Goldman & Salatsch ein großes Geschäftshaus am Spitz, den der Kohlmarkt mit der noblen Herrengasse bildet, errichten.

Loos schuf dort ein Gebäude, dessen bis dato beispiellose Klarheit die allerhöchste Ablehnung auf sich zog: Die Fama will, dass sich Franz Joseph I. sich seither weigerte, aus den zum Michaelerplatz führenden Fenstern seiner Hofburg zu blicken. "Haus ohne Augenbrauen", schimpfte es angeblich der Volksmund und meinte damit die unerhörte Nacktheit der Fensternischen, die nach den Jahrzehnten des Historismus mit seinen Anleihen bei fast allen europäischen Baustilen der Vergangenheit von vielen als brutal empfunden wurde.

Vielleicht waren die Goldman-&-Salatsch-Kunden Markus und Richard Stein inspiriert von den Plänen für den spektakulären Neubau am Michaelerplatz (der Herrenausstatter hatte zuvor am Graben residiert). Vielleicht hatte ihnen einer der bereits verwirklichten Bauten Loos' imponiert (etwa die American Bar oder das Café Museum). Jedenfalls beauftragte man den Architekten, der sich gerade mit seiner Streitschrift Ornament und Verbrechen zahlreiche Feinde gemacht hatte, bereits 1909, also etwa zeitgleich wie Goldman & Salatsch, mit der Planung und Ausführung eines Portals für die eigene Buchhandlung sowie mit der Einrichtung der Geschäftsführungsräume in der Kontorsetage.

Ungefähr zur gleichen Zeit ließ Richard Stein sich selbst und seine beiden jüngeren Kinder Walter und Lotte von Loos' Protegé Oskar Kokoschka malen. Das Porträt Richard Stein ist im Zweiten Weltkrieg verschollen; Spielende Kinder hängt heute im Wilhelm-Lehmbruck-Museum der Stadt Duisburg. Das Publikum reagierte bei der ersten Ausstellung im Jahr 1911 im Wiener Hagenbund verstört. Die verbalen Reaktionen reichten von "Menschenkarikaturen" bis hin zu "wüster Erotik". 1913 sollte Richard Stein Loos schließlich noch - offenbar auf den Geschmack gekommen - mit dem Ausbau einer (heute nicht mehr bestehenden) Wohnung im 3. Bezirk für sich und seine Familie betrauen.

Vater und Sohn Stein setzten mit der Entscheidung für Loos ein eindeutiges Statement, das auch ihrem Selbstverständnis als allem Neuen gegenüber aufgeschlossenen Männern von Welt entsprach. Dabei dürfte Markus Stein, der Vater, anfänglich mehr Vertrauen in den Architekten gesetzt haben als der Sohn. Am 8. Juli 1909 schrieb Richard an Markus: " Übrigens wird Herr Architekt Loos in den nächsten Tagen bereits eine Skizze liefern; ich habe das Gefühl, dass Deine Idee, ihn zu nehmen, eine sehr gute war und dass er absolut nichts Verrücktes machen wird [... ]." Richard Stein setzte schließlich seine Signatur unter den Einreichplan und gab damit den Startschuss für den Bau eines der schönsten und architektonisch bedeutendsten Geschäftsportale des ersten Bezirks. Heuer feiert es seinen einhundertsten Geburtstag.  (Christopher Dietz, Album, DER STANDARD, 18./19.8.2012)