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Elsa Morante bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Alberto Moravia.

Undatiertes Foto: Apa/Effigie/Leemage

Ihr erster Roman hätte zugleich ihr letzter sein sollen. Als Elsa Morante an ihrem Erstling Menzogna e sortilegio (Lüge und Zauberei, 1948) saß, hatte sie ein absolutes Werk vor Augen, das der ganzen Gattung ein Ende setzt. Sie wollte, erzählte die Schriftstellerin später, "den letzten möglichen Roman schreiben, den letzten Roman der Welt, und natürlich auch meinen letzten Roman".

Glücklicherweise ist ihr das nicht ganz gelungen, zum Glück hat Elsa Morante weitergeschrieben und diesem ersten noch drei weitere Romane folgen lassen. Und wenn sie auch nicht den letzten möglichen Roman geschrieben hat, so hatte ihre Auseinandersetzung mit der epischen Großform doch einen absoluten Charakter behalten. Morantes Werk besteht vor allem aus ihren vier großen Romanen: viele hundert Seiten dicke, in Jahrzehnte-Schritten entstandene Epen, die nach Wahrhaftigkeit schmecken, die Elementares verhandeln und sich, trotz aller Gegensätze, als großes Ganzes lesen lassen.

Dabei fallen Elsa Morantes Romane völlig aus der Zeit. Als sie 1948 auf dem literarischen Parkett debütierte, war die italienische Literatur vom sozialkritischen Neorealismus bestimmt. Elio Vittorini und Cesare Pavese drangen ins Innere der hart an der Modernisierung arbeitenden Nachkriegsgesellschaft vor. Morante blieb stets auf Abstand zu dieser und anderen literarischen Strömungen. In ihren Romanen knüpft sie mythische, archaische Verbindungen, die ihre auf dem Boden der Realität aufgelesenen Figuren auf fantastische Weise ins Zeitlose entrücken. Morantes Protagonisten sind in eine düstere, harte Realität herabgestürzte Engel, vom Schicksal Vernachlässigte, Verlorene, Gepeinigte.

Elsa Morante, die Römerin, Tochter einer Volksschullehrerin, am 18. August 1912 geboren, hatte sich blutjung von ihrer Familie emanzipiert. Nach kurzen Studien schlug sie sich mit Privatstunden durch, arbeitete für Zeitschriften und schrieb erste Gedichte und Märchen für Kinder. 1936 lernte sie den Schriftsteller Alberto Moravia kennen, mit dem sie mehr als 20 Jahre verheiratet war. Das Schriftstellerpaar unternahm gemeinsame Reisen, etwa mit dem Freund Pier Paolo Pasolini nach Indien, und lebte über lange Jahre in getrennten Wohnungen in Rom. Beide wurden mit den wichtigsten italienischen Literaturpreisen ausgezeichnet, doch während Moravia, ein Viel- und Schnellschreiber, ein Buch nach dem anderen hinausschleuderte, arbeitete Morante sehr lange an ihren Werken, unterzog ihr Schreiben einer harten Selbstkritik, verlangte Perfektion und vernichtete vieles.

Cesare Garboli, der berühmte italienische Literaturkritiker, schrieb über Morante, sie habe vermocht, sich in ihren Romanen auszudrücken, ohne je ihr Ich durchscheinen zu lassen: "Sie hatte sich, wie ein Gott, der sich von der Schöpfung zurückzieht, demjenigen geschenkt, der für sie erzählte." In Lüge und Zauberei ist es Elisa, die die Geschichte ihrer Familie über drei Generationen hinweg erzählt, und schon ihr allwissender, verträumter Tonfall versetzt die triste Geschichte des Bauernsohns Francesco, der von seiner glühend geliebten Frau Anna nur Verachtung zu spüren bekommt, in eine Atmosphäre des Märchenhaften.

Die im verarmten Süden angesiedelte Geschichte könnte ebenso gut wie im 20. auch in einem früheren Jahrhundert spielen. In der Fantasie der jungen Erzählerin Elisa wird der reiche Vetter Edoardo zum Märchenprinzen, ein gutbürgerliches Haus mutiert zum Königsschloss, die eigenen Eltern, deren Leben Elisa allwissend erzählt, sind zugleich die geheimnisvollen Figuren einer höheren Instanz. Aus Lüge und Zauberei ist die polyphone, auf mehreren Ebenen zwischen Traum und Wirklichkeit pendelnde Erzählstruktur gemacht. Ähnliche magische Kräfte sind im Spiel, wenn Morante in Arturos Insel (1957) das verlorene Paradies der Kindheit entwirft: Arturo, ein Halbwaise, verlebt auf einer Insel, nahezu völlig isoliert von sozialen Kontakten, doch inmitten einer traumhaften Natur und von wundersamen Helden seiner Fantasie begleitet, seine Knabenjahre.

Die Illusion familiären Glücks

25 Jahre später, in dem deutlich pessimistischeren, letzten Roman Aracoeli, unternimmt Arturos "Gegenspieler" Emanuele eine Reise auf den Spuren seiner Familie, um das Bild der geliebten Mutter und das verlorene Glück der Kindheit wiederzufinden. Und auch in La Storia (1974), dem kommerziell erfolgreichsten Buch Elsa Morantes, das in Italien ein Bestseller und mit Claudia Cardinale verfilmt wurde, bildet die Kindheit eines Knaben, des kleinen Useppe, der von seiner Mutter, der Lehrerin Ida, mit großer Not durch die Kriegsjahre gebracht wird, den Erzählrahmen. In allen Romanen steht eine Mutter-Kind-Beziehung im Zentrum und die Illusion des familiären Glücks. Alle vier sind sie Geschichten von der Auflösung einer Familie. Möglicherweise erlaubt das Rückschlüsse auf die Biografie von Elsa Morante, jedoch auch auf ihr Kunstverständnis, das in dem einzigen Essayband Für oder wider die Atombombe erhellt wird.

Darin schreibt Morante, deren OEuvre auf eine pessimistische Conclusio hinausläuft und die 1985 nach längerer Bettlägerigkeit in Rom starb: " Man könnte meinen, dass die heutige Menschheit die geheime Versuchung spürt zu zerfallen." Kunst sei das Gegenteil von Zerfall. Und den Autor eines Romans verglich Morante mit dem "sonnigen Protagonisten, der in den Mythen den Kampf mit dem nächtlichen Drachen aufnimmt".    (Isabella Pohl, Album, DER STANDARD, 18./19.8.2012)