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Das "Privileg", im Fall eines negativen Asylbescheids selbstständig ausreisen zu dürfen, muss man sich in Österreich teils bürokratisch erkämpfen. Die Fremdenpolizei bringt Betroffene lieber mit Behördengewalt und auf Kosten der Allgemeinheit außer Landes.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Der Abschiebewillen mancher österreichischer Fremdenpolizisten hat paradoxe Wirkungen. Etwa, dass es für einen Ausländer schon ein Erfolg sein kann, aus Österreich ausreisen zu dürfen: Also an der Botschaft seines Heimatstaats einen Reisepass zu beantragen und auch zu erhalten, ein Flugticket zu kaufen und sich zum Abflugtermin am Terminal einzufinden, um das schöne Land der Berge freiwillig zu verlassen.

Anstatt mit Polizeibegleitung, im Härtefall mit Handfesseln, ins Flugzeug verfrachtet zu werden, aus einer Schubhaftzelle heraus, in der er/sie ein, zwei Tage verbringen musste, nachdem er/sie eines frühen Morgens von Polizisten aus dem Bett heraus festgenommen wurde.

Kenan S. (57) hat sich dieses Ausreise-„Privileg" erstritten, gegen den Willen der Fremdenpolizei. Konkret gegen zwei Abschiebeversuche und einen darauffolgenden bürokratischen Kleinkrieg. Denn trotz mehrfacher Versicherungen, dass er Österreich ohnehin zu verlassen gedenke, trotz Faxen und Mails mit Scans von Passantrag und - selbstbezahltem - Flugticket ans fremdenpolizeiliche Büro der Sicherheitsdirektion Wien beharrte man dort darauf, ihn mit Behördengewalt außer Landes zu bringen. Auf Kosten der Allgemeinheit, also des vielbeschworenen Steuerzahlers.

Bleibe-Order aus dem Ministerium

Die Sache zog sich tagelang, Faxe kamen bei der Fremdenpolizei nicht an, Mails wurden ignoriert. Bis - endlich - die befreiende Nachricht folgte, aus dem Innenministerium. Der Leiter der fremdenrechtlichen Abteilung, Gerhard Reischer, versicherte S. persönlich, dass „fremdenpolizeiliche Zwangsmaßnahmen bis zur geplanten freiwilligen Ausreise ausgesetzt" würden.

Doch der Reihe nach - auch wenn manche/r LeserIn die folgenden Details aufgrund von zwei Standard-Artikel schon bekannt sein dürften: Kenan S., abgewiesener Asylwerber aus der Türkei, hat mit einer Frau von ebendort in Wien einen Sohn, ein Jahr alt, mit einem schweren Herzfehler. Das Kind muss rund um die Uhr betreut werden. Das hatte seit kurz nach der Geburt der Vater übernommen, der keine Arbeitsbewilligung hat. Nur so konnte die Mutter des Kindes arbeiten, sprich: für den Lebensunterhalt aller drei sorgen.

Kenan S. wollte in Wien bei Frau und Kind bleiben. Daher beantragte er ein Visum. Dieses wurde abgelehnt: Er müsse in die Türkei zurück, um den Antrag zu stellen. Dagegen berief er.

Und dann trat auch schon die Fremdenpolizei auf den Plan, auf Grundlage des Ausweisungsbefehls nach dem Asyl-Nein. Ein erster Abschiebeversuch scheiterte in letzter Minute: S. saß polizeibegleitet schon im Departure am Wiener Flughafen, da gelang es UnterstützerInnen, Mitreisende von den Umständen zu informieren - sodass sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen. Einem zweiten Wegbringversuch wiederum entging er aus Zufall: Er war nicht daheim, als das Kommando morgens um sechs bei ihm und seiner Lebensgefährtin anläutete.

Unverständlich

Dieser zweite Abschiebeversuch war für die Familie und ihre UnterstützerInnen ein besonderer Schock. Denn er schien völlig unverständlich: Die freiwillige Ausreise war zu diesem Zeitpunkt schon fixiert - und würde Kenan S. abgeschoben, stünde er, ohne gültigen Pass, für 18 Monate unter Rückkehrverbot in der EU.

Bei freiwilliger Rückkehr hingegen kann er seinen Visumsantrag aus der Türkei sofort stellen. Das beschied ihm auch das Innenministerium: Aus der Türkei, per Auslandsantrag, könne er binnen weniger Wochen das Recht auf Wiedereinreise erwirken, stand in der Begründung, warum ihn der Antrag in Österreich selbst verwehrt wurde. Also war er zur Rückkehrberatung der Caritas gegangen und hatte alle nötigen Schritte gesetzt: Immerhin war sogar Familie nach "freiwilliger Rückkehr" in den Kosovo die Wiedereinreise nach Österreich zugestanden worden.

Warum, so fragt man sich nun, wollte die Fremdenpolizei Kenan S. unbedingt unfreiwillig außer Landes bringen? Was war ihr Interesse? Kann es sein, dass es den zuständigen Beamten um die 18 Monate Wiedereinreiseverbot ging? Wollten sie erreichen, dass die Familie möglichst lang getrennt bleibt? Und: Wie ist es zu verstehen, dass erst ein „Machtwort" aus dem Innenministerium den Abschiebeehrgeiz der Fremdenpolizei stoppen konnte - nachdem davor nur ziviler Ungehorsam (von UnterstützerInnen) und passive Widersetzung (von Kenan S. selbst) den voreiligen Abflug verhindert hatten? Fragen über Fragen, die auf eine einzige hinauslaufen: Kann es sein, dass es in Österreich manchmal unklar ist, wer im Konkreten über das Fremdenwesen bestimmt: das Ministerium oder die ihm untergeordnete Polizei? (Irene Brickner, derStandard.at, 18.8.2012)