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Mark Thompson wechselt als Exekutivdirektor zur "Grauen Dame", der New York Times.

Foto: REUTERS/Nigel Roddis

Als Brite versteht Mark Thompson etwas von der Kunst, sich selbst auf die Schaufel zu nehmen. Das bewies er, als er fein lächelnd vorlas, was ihm irritierte Zuschauer geschrieben hatten. "Werter Herr Generaldirektor, gibt es denn bei der BBC keine Kleidungsregeln mehr? Ich bin entsetzt über die Unart, keine Krawatte mehr zu tragen. Wie ungepflegt diese krawattenlosen Gesellen doch aussehen!" Da war Thompson gerade an die Spitze der BBC berufen worden. Im November wechselt er als Exekutivdirektor zur "Grauen Dame", der New York Times.

Tatsächlich trägt Thompson, der einmal sogar einen Kollegen in den Arm biss, nur selten Krawatte, dafür oft Dreitagebart. Bei Tantchen Beeb, wie die Briten die BBC nennen, hat der 55-Jährige sein gesamtes Berufsleben verbracht, abgesehen von einem kurzen Ausflug zu Channel 4. Seit er 2004 die Führung des Traditionshauses übernahm, erwarb er sich den Ruf eines Experten in Sachen digitaler Revolution. Sein liebstes Kind war der iPlayer, mit dessen Hilfe man verpasste Sendungen am Computer anschauen konnte.

Sein neuer Arbeitgeber kann sich im Gegensatz zur BBC nicht auf eine obligatorische Fernsehgebühr stützen – was Skeptiker fragen lässt, ob Thompson nicht aus zu bequemen Verhältnissen stammt, als dass er sich eignete für die Härte des US-Medienmarkts. Die Kassenlage bei dem Blatt ist so bedenklich, dass seit 2009 keine Dividenden mehr fließen – ein Faktum, das es heftig rumoren lässt unter den Erben der Verlegerfamilie Ochs-Sulzberger.

Zusätzliche Brisanz bekommt die Personalie, weil Thompson in die Fußstapfen von Janet Robinson tritt, einer früheren Volksschullehrerin, die sich über das Annoncengeschäft ganz nach oben arbeitete, bis Herausgeber Arthur Sulzberger jr. ihr im Dezember überraschend den Stuhl vor die Tür setzte. Sulzbergers neue Freundin, eine Mexikanerin namens Claudia Gonzalez, soll kräftig mitgewirkt haben an der Entlassung.

Immerhin: Eine Bezahlschranke, vor Jahresfrist eingeführt, hat die Online-Leser durchaus nicht verschreckt. Im Gegenteil, die Zahl der Abonnenten stieg auf über eine halbe Million. Mit Thompson als "Mister Innovation": Der Mann aus London soll die Website ausbauen – zur führenden Marke des digitalen Weltdorfs.

Mit einem Wechsel in die USA hat Thompson auch privat keine Probleme: Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet, eines seiner Kinder studiert dort bereits. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 20.8.2012)