Mit seiner Firma ERWO Pharma konzentriert sich Ernst Wolensky ausschließlich auf den österreichischen Markt.

Foto: ERWO Pharma

17 Jahre lang war Ernst Wolensky bei einem internationalen Pharmakonzern tätig, bis er sich entschloss, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Mit der vergleichsweise kleinen Firma ERWO Pharma konzentriert sich der gebürtige Wiener seit fünf Jahren ausschließlich auf den österreichischen Markt und lässt auch seine Produkte zu einem Großteil hierzulande herstellen. Im Interview mit derStandard.at spricht Wolensky über Startschwierigkeiten bei der Unternehmensgründung, Karrierechancen in der Pharmabranche und den Reiz, den ein kleines Unternehmen gegenüber einem großen Konzern haben kann.

derStandard.at: Wie fühlt man sich denn als Kleiner unter den Großen in der Pharmabranche?

Wolensky: Sehr gut. (lacht)

derStandard.at: Wie sind Sie in die Branche gekommen?

Wolensky: Ich war vor meiner Firmengründung schon viele Jahre in der Pharmabranche tätig, und zwar beim internationalen Konzern Nycomed. Ich bin gleich nach meinem Medizinstudium eingestiegen, und es hat mir dort so gut gefallen, dass ich auch gar keinen Turnus mehr gemacht habe. Ich bin auch zu einer Zeit fertig geworden, als keine Turnusplätze frei waren.

An der Uni habe ich mit einem Datenbankspezialisten zusammengearbeitet, der damals ein Außendienst-Steuerungsprogramm für Nycomed erstellt hat. Der hat mir gesagt, dass dort gerade ein Mediziner gesucht wird. Und da dachte ich mir, das schaue ich mir mal an, bis eine Turnusstelle frei wird. Als es aber so weit war, hatte ich dort schon 20 Mitarbeiter. Und das ging dann Schritt für Schritt weiter: Zuerst war ich nur für die medizinische Abteilung zuständig, dann kam das Marketing dazu und dann noch weitere Länder.

derStandard.at: Sie waren dann insgesamt 17 Jahre bei Nycomed.

Wolensky: Ja. Ende 2006 haben die Besitzer von Nycomed die Firma Altana gekauft, die in den von mir betreuten Ländern viel stärker vertreten war als wir. Und es war klar, wenn der Deal über die Bühne geht, dann verliere ich meinen Job.

Da ist aber wirklich sehr fair mit mir umgegangen worden, so wie ich es aus der Pharmabranche auch kenne. Man hat versucht, mir einen anderen Job im Unternehmen zu verschaffen. Ich wollte aber weder in die Zentrale wechseln noch neue Länder erschließen. Ich war jährlich immer über 100 Nächte unterwegs, meine kleine Tochter habe ich kaum gesehen. Daher haben wir uns darauf geeinigt, dass ich Nycomed verlasse.

derStandard.at: Wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, ein eigenes Unternehmen zu gründen?

Wolensky: In meiner Firmen-E-Mail-Adresse hatte ich die Abkürzung "ERWO". Und mein Mitarbeiter, der Schweizer Geschäftsführer, sagte dann: "Wenn du eine Firma gründest, dann nenn sie doch ERWO. Das tönt so gut." Da ist das erste Mal die Idee aufgekommen, davor habe ich überhaupt nicht darüber nachgedacht.

derStandard.at: Was waren die größten Startschwierigkeiten?

Wolensky: Das Allerschlimmste ist, wenn man 17 Jahre lang eine persönliche Assistentin hat und dann selbst die ersten Briefe schreibt. Nach dem Zusammenfalten war meine Name nicht im Sichtfenster des Kuverts sichtbar. Bis ich es geschafft habe, war der Brief schon so voller Falten, dass ich ihn weggeworfen habe.

Was mir bis heute noch abgeht, ist der Austausch, speziell auf Managementebene. Ich bin oft allein, ich habe einfach kein Team von Spezialisten hinter mir. Der Vorteil dabei ist, dass ich nun mit sehr vielen Bereichen zu tun habe. Dass ich früher wochenlang nur mit einem Thema beschäftigt war, das gibt es nicht mehr.

derStandard.at: Der Aufbau eines Teams dürfte nicht so einfach gewesen sein. Schließlich ist es ein großes Risiko, bei einem neu gegründeten Unternehmen zu arbeiten.

Wolensky: Natürlich, neu heißt immer risky. Und ich musste mir die Frage stellen, wie ich das Risiko meines Gegenübers minimieren kann. Ich habe geschaut, dass ich gute, bekannte Produkte vertreiben kann. Und das Gleiche habe ich bei den Mitarbeitern gemacht, habe gute, bekannte Gesichter geholt, die teilweise schon in der Pension waren. Sie haben sehr viel Erfahrung und sehr viele Kontakte. Und in der Apotheke haben sie sich gefreut: "Schön, Sie sind wieder da." Damit wurde eine gute Basis geschaffen.

derStandard.at: Welche Argumente führen Sie an, damit potenzielle Mitarbeiter Ihnen zusagen und nicht den großen Unternehmen?

Wolensky: Ich kann jungen Menschen anbieten, dass Sie in meinem kleinen Unternehmen die ersten Schritte machen dürfen, danach kann man immer noch wechseln. Ich bin ja der Meinung, dass sie irgendwann rausmüssen. Dass jemand bei der ERWO Pharma beginnt und bei der ERWO Pharma in Pension geht, das fände ich nicht adäquat.

Ansonsten ist es bei uns so, dass der Job sehr weit gesteckt ist, man hat viel Eigenverantwortung. Und bei großen Konzernen wird man vor allem im Außendienst so geschult, dass in allen Ländern die gleiche Botschaft ankommt. Da muss man die eigene Persönlichkeit ein bisschen hintanstellen. In Österreich aber sind auch individuelle Lösungen möglich, und das spricht sicher einen anderen Typ von Mensch an, einen, der beispielsweise über sehr gute Kommunikations-Skills verfügt.

Auch ist es so, dass man sich in der Branche kennt, weil sie sehr klein ist. Mich und meine erfahrenen Mitarbeiter kennt man, und dann vertraut man auch dem Projekt. Ich habe jetzt gerade wieder einen Mitarbeiter eingestellt, Mitte 50, der Außendienstleiter in einer anderen Firma war. Er nimmt in Kauf, dass er etwas weniger verdient, dafür kann er sich mit seiner Erfahrung mehr einbringen.

derStandard.at: Können Sie auch Jüngere überzeugen?

Wolensky: Wir haben eine Produktmanagerin, die gerade die FH abgeschlossen und ihren 21. Geburtstag gefeiert hat. Sie betreut schon vier Produkte mit einer Millionen-Umsatzhöhe.

Für junge Leute ist auch sicher reizvoll, dass man bei uns Fehler machen darf. Das kann ja passieren. Das Einzige, was ich für unverzeihlich halte, ist, einen Fehler nicht zu kommunizieren.

derStandard.at: Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie sich auf den österreichischen Markt konzentrieren? Schließlich waren Sie davor international tätig.

Wolensky: Ich habe mich oft mit dem österreichischen Markt beschäftigt. Hier gibt es bei Medikamenten ein niedriges Preisniveau und relativ hohe Lohnnebenkosten. In der Schweiz zum Beispiel bekomme ich für ein Investment einfach viel mehr Geld. Und wenn es noch einen größeren Markt wie etwa Deutschland gibt, dann investiert man lieber dort. Ich konnte also in Österreich nie adäquat investieren, viele gute Medikamente sind hier nie auf den Markt gekommen.

Das hat mich sehr beschäftigt. Ich dachte mir, wenn du jetzt nur für Österreich verantwortlich bist, wenn du nicht dieses Entscheidungskonvolut hinter dir hättest und somit Entscheidungen ganz schnell durchziehen könntest, dann muss das geil sein. Nycomed hat mir dann auch Starthilfe gegeben, ich konnte von Beginn an ein paar Produkte rauskaufen.

derStandard.at: Der Pharmabranche geht es prinzipiell nicht so gut. Beispielsweise wird von staatlicher Seite immer mehr im Gesundheitsbereich gekürzt. Wie hat sich die Branche in den letzten Jahren entwickelt?

Wolensky: Früher war es so, dass man ein Produkt mit einem entsprechenden Preisniveau den Krankenkassen vorgestellt hat, und dann ging alles relativ schnell. Mittlerweile ist der Zugang schwieriger, heutzutage dauert es etwa 400 Tage, bis die Produkte refundiert werden.

Man muss sich vorstellen, dass ein Patentschutz bei Medikamenten 20 Jahre beträgt. Bis aus einem Molekül ein Produkt entsteht, das auf den Markt gebracht werden kann, dauert es im Schnitt zwölf Jahre. Man hat also gerade einmal acht Jahre für die Vermarktung. Mit SPC (Supplementary Protection Certificate, Anm.) kann man das noch bis zu fünf Jahre verlängern. Das erhält man, wenn sich die Indikationen eines Produktes erweitern. So oder so ist es aber eine relativ kurze Zeitspanne, und dann muss man noch lange warten, bis die Produkte refundiert werden. Man sieht also, dass das Risiko für die Pharmabranche ein höheres geworden ist.

Auch muss man mittlerweile mit weniger Außendienst-Mitarbeitern auskommen. Und der Generika- und OTC-Bereich, das ist die Selbstmedikation, ist gewachsen.

derStandard.at: Hatte die globale Wirtschaftskrise Auswirkungen auf die Pharmabranche?

Wolensky: Überhaupt nicht. Das Einzige, was mir einfällt, ist, dass es bei Lifestyle-Produkten im Bereich der Selbstmedikation vielleicht einen leichten Rückgang gab.

derStandard.at: Welche Karrierechancen hat man momentan in der österreichischen Pharmabranche? Und welche eine Ausbildung ist nötig? Die Branche ist relativ klein, zudem haben sich einige große Konzerne zurückgezogen.

Wolensky: Man muss unterscheiden zwischen Forschungsabteilung und Vertrieb. Große Pharmaunternehmen sind hier großteils nur mehr im zweiten Bereich tätig. Es gibt noch kleine Entwicklungs-Units in Österreich, bei Nycomed oder Baxter zum Beispiel. Und dann gibt es noch ein paar Biotechnology-Cluster, unter anderem in Graz. Mit einem naturwissenschaftlichen Studium kann man sich da sicher gut einbringen.

derStandard.at: Wie sieht es im Vertrieb aus?

Wolensky: Da wird wie gesagt Personal abgebaut. Auf jeden Fall braucht man ein naturwissenschaftliches Studium oder muss eine Pharmareferenten-Prüfung bestehen. Die ist wirklich sehr schwer, meiner Meinung nach kommt das einem Studium gleich. Ansonsten darf man nach dem Arzneimittelgesetz auch keine Ärzte oder Apotheker besuchen.

derStandard.at: Welche Studienrichtungen betrifft das?

Wolensky: Pharmazie, Biologie, Humanbiologie und Medizin.

derStandard.at: Wie sieht es im Marketing-Bereich aus?

Wolensky: Da ist natürlich jede Form der Marketing-Ausbildung wünschenswert. Gerne auch ein wirtschaftliches Studium.

derStandard.at: Suchen Sie gerade neues Personal?

Wolensky: Wir haben gerade einen neuen Produktmanager und einen neuen Außendienstmitarbeiter engagiert, daher momentan nicht. Aber wir sind gerade mitten in diesem Umstrukturierungsprozess, in dem die Pensionisten auch tatsächlich in Pension gehen. Das wird in den nächsten zwei Jahren passieren, dann werde ich neues Personal im Produktmanagement und im Außendienst benötigen. Das Ziel ist, in den nächsten fünf Jahren fünf neue Mitarbeiter anzustellen.

derStandard.at: Die Pharmabranche hat den Ruf, relativ lukrativ zu sein. Welche Durchschnittsgehälter gibt es da?

Wolensky: Meiner Meinung nach wird durchschnittlich mehr bezahlt als in anderen Branchen, aber der Unterschied ist nicht mehr so groß.

derStandard.at: Können Sie grob ein paar Zahlen nennen?

Wolensky: Junge Produktmanager ohne Berufserfahrung starten mit 35.000 Euro brutto im Jahr. Man muss aber bedenken, dass noch ein variabler Anteil dazukommt. Prämien können in diesem Fall bis zu 15.000 Euro ausmachen.

derStandard.at: Wie viel Prozent kann der variable Teil ausmachen?

Wolensky: Das hängt von der Position ab. In der Administration sind das eher fünf Prozent, im Vertrieb kann das bis zu 40 Prozent ausmachen.

derStandard.at: Wie ist das bei Mitarbeitern mit langjähriger Erfahrung?

Wolensky: Ein erfahrener Außendienst-Mitarbeiter erhält ungefähr 70.000 Euro brutto jährlich, plus variablen Teil. Ein Marketing-Leiter in einer großen Firma wird schon um die 100.000 Euro im Jahr plus Prämien erhalten. Dort wird natürlich mehr bezahlt als in einem kleinen Unternehmen.

derStandard.at: Was erwarten Sie sich von der Pharmabranche in den nächsten fünf Jahren?

Wolensky: Bei vielen bekannten Produkten wird das Patent auslaufen, die Generika-Firmen werden also große Zuwächse verzeichnen. Ich glaube, dass die Zeit der Blockbuster-Produkte, also der Produkte mit einem großen Volumen, vorbei ist. Es wird in immer kleinere, immer spezifischere Segmente vorgestoßen. Die großen Firmen werden sich auch mehr mit Rare Diseases beschäftigen, mit Krankheiten, die nicht so häufig auftreten.

In Österreich wird sich am Gebietsschutz der Apotheken meiner Meinung nach sicher nichts ändern, und der OTC-Markt wird weiter wachsen. Auch im Bereich der psychischen Krankheiten und Allergien wird es sicher Zuwächse geben. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 3.9.2012)