Oslo/Wien - Der größte Prozess in der Geschichte Norwegens ist vor zwei Monaten zu Ende gegangen. Seitdem warten die Norweger, aber auch die Weltöffentlichkeit, gespannt auf das Urteil der Richter über den Attentäter von Oslo und Utöya, Anders Behring Breivik. Völlig offen ist vor der für Freitag erwarteten Entscheidung, wie das Gericht urteilen wird. Dabei geht es auch um die zentrale Frage, die auch Norwegens Psychiater entzweit: Ist Breivik zurechnungsfähig oder nicht? Wird Breivik als schuldfähig befunden, droht ihm eine langjährige Haftstrafe. Hält ihn das Gericht für nicht zurechnungsfähig, folgt eine Einweisung in die Psychiatrie.

Breivik selbst hat während des zehnwöchigen Prozesses dafür gekämpft, als schuldfähig anerkannt zu werden. Die Spezialisten waren sich nicht einig. In einem ersten Gutachten attestierten die Psychiater dem 33-Jährigen „paranoide Schizophrenie“, womit er als schuldunfähig gelten würde. Die Psychiater eines zweiten Gutachtens kamen dagegen zum gegenteiligen Schluss. Der Attentäter sei zum Zeitpunkt der Tat nicht psychisch gestört gewesen, so die Experten.

Handlungen aus "Notwehr"

Angeklagt ist Breivik wegen Terrorismus’ und vorsätzlichen Mordes. Der Massenmörder hat gestanden, am 22. Juli 2011 bei einem Bombenanschlag in Oslo und dem anschließenden Massaker auf der Insel Utöya an den Teilnehmern an einem Jugendlager der regierenden Sozialdemokraten insgesamt 77 Menschen getötet zu haben. Trotzdem plädierte der Rechtsextremist im Prozess auf Freispruch, weil er aus „Notwehr“ gehandelt habe, um Norwegen vor einer vermeintlichen Islamisierung zu schützen. Die Staatsanwälte Inga Bejer Engh und ihr Kollege Svein Holden stuften Breivik trotz eigener Zweifel als nicht zurechnungsfähig ein und forderten die Zwangseinweisung auf Dauer in eine geschlossene Psychiatrie.

Das Urteil, das für Freitag erwartet wird, wird mit der Mehrheit der Stimmen der fünf Richter - zwei Berufs- und drei Laienrichter - gefällt. Den Vorsitz hat die Berufsrichterin Wenche Elizabeth Arntzen, bei der Urteilsfindung haben die Stimmen aller fünf Richter jedoch gleich großes Gewicht. Zunächst wird die Schuldfähigkeit beurteilt, im Anschluss ein Strafmaß festgesetzt.

Kein "Lebenslang"

Im norwegischen Rechtssystem gibt es keine lebenslangen Haftstrafen. Als eines von nur rund 20 Ländern weltweit hat Norwegen „Lebenslang“ im Strafrecht abgeschafft. Im Falle seiner Schuldfähigkeit ist daher mit der Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis zu rechnen. Trotzdem könnte Breivik, der zugibt, die 77 Menschen getötet zu haben, den Rest seines Lebens hinter Gittern bleiben. Denn die Haft kann unbegrenzt verlängert werden, wenn der Verurteilte weiterhin als gefährlich gilt. Bereits mit dem Urteil kann vom Gericht eine Sicherheitsverwahrung verhängt werden. Nach Ablauf der 21 Jahre kann die Haft dann beliebig oft um bis zu fünf Jahre verlängert werden.

Im Falle einer Einstufung als nicht zurechnungsfähig, wird Breivik in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen - ebenfalls vermutlich für den Rest seines Lebens. Ein Staatsanwalt kann den Aufenthalt dort alle drei Jahre verlängern. Sollte die Psychiatrie eine Heilung diagnostizieren, könnte auch im Nachhinein noch eine Haftstrafe verhängt werden. Viele Norweger befürchten jedoch, dass der Prozess noch einmal aufgerollt werden könnte. Falls er als nicht zurechnungsfähig eingestuft wird, will Breivik Berufung einlegen. (APA)