Über 21 Jahre lang stand er an der Spitze des nach Einwohnern zweitgrößten Landes in Afrika: Im Alter von 57 Jahren verstarb Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi in der Nacht zum Dienstag nach längerer Krankheit - laut Staatsfernsehen "in einem Krankenhaus im Ausland". Vizepremier Hailemariam Desalegn übernimmt die Amtsgeschäfte, der Kurs soll gehalten werden.
Zenawi war seit Mitte Juni nicht mehr öffentlich aufgetreten. Von Exil-Oppositionellen gestreute Gerüchte, Zenawi sei in einem Krankenhaus in Belgien verstorben, wurden damals dementiert.
Während Staats- und Regierungschef aus aller Welt ihr Beileid ausdrückten, feierten seine Gegner: "Wir sind über Meles' Tod sehr froh. Äthiopien wird sicher zusammenbrechen", so Scheich Ali Mohammed Rage, Sprecher der somalischen Terrorgruppe Al-Shabaab. Das äthiopische Militär war 2011 zum zweiten Mal in Somalia einmarschiert, das seit über 20 Jahren von einem Bürgerkrieg erschüttert wird. Dem Westen galt Zenawi stets als Partner im Kampf gegen den militanten Islamismus am Horn von Afrika.
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen
Seit dem Sturz des kommunistischen Diktators Mengistu Haile Mariam galt Zenawi als starker, autoritär regierender Mann in Äthiopien. 1975 brach er sein Medizinstudium ab, um sich dem Kampf gegen den Diktator anzuschließen. Im Busch legte sich Legesse Zenawi den Kampfnamen Meles zu, unter dem er dann bekannt wurde. Unter seiner Führung wurde Mengistu 1991 gestürzt, Zenawi wurde Präsident der Übergangsregierung und nach den Wahlen 1995 Premier.
Tony Blair und andere westliche Politiker priesen den scharfzüngigen Redner anfangs als Mitglied einer neuen, demokratischen Generation afrikanischer Führer. Doch während Äthiopien bei der Armutsbekämpfung große Fortschritte macht, warfen NGOs Zenawi zuletzt verstärkt Menschenrechtsverletzungen vor.
Der stets streng wirkende Zenawi, aus dessen Privatleben kaum mehr bekannt ist, als dass er Vater dreier Kinder war, war in Äthiopien omnipräsent: Sein Konterfei prangte auf abertausenden Postern und T-Shirts im Land.
Wann der Premierminister beigesetzt wird, steht noch nicht fest. Bis zum Begräbnis wurde Staatstrauer ausgerufen.(Philipp Hedemann, DER STANDARD Printausgabe, 22.8.2012)