Vor ein paar Monaten gegen Mitternacht fand ich eine Frau mitten auf der Straße. Jung, schön, fast nackt, nur mit weißem Leiberl bekleidet, aber mit hohen Stiefeln - blutend im Gesicht und an den Beinen.

Der Polizei-Notruf fragte mich: "Ist eine Täterpersönlichkeit in der Nähe?" Es regnete stark. Der dicke, rotuniformierte Rettungsmann beschwerte sich, dass er die Frau, die prompt zu schreien anfing, "noch nicht einmal vaginal untersuchen durfte". Die jungen Polizisten konzentrierten sich auf die Identitätsüberprüfung. Die Frau sprach nur polnisch und war völlig neben sich. Sie hielt ihre Identitätskarte und fünfzig Euro in der Hand. "So nackt können wir die Frau nicht mit ins Krankenhaus nehmen", sagte der Rettungsmann. Also gab ich ihr meinen Wollrock.

Über die "Interventionsstelle gegen Frauenhandel" erfuhr ich am nächsten Tag, dass die Frau auf eigenen Wunsch aus der Psychiatrie entlassen worden war. Niemand hatte mit ihr geredet. Sie verschwand einfach.

Sicher ist es schwierig, das Vertrauen von Menschenhandelsopfern zu gewinnen. Viele Verfahren werden eingestellt, die Beweise reichen nicht aus, die Frauen werden abgeschoben. Trotzdem darf man nicht aufgeben, die Opfer zu unterstützen, denn die organisierte Kriminalität verdient inzwischen mehr am Frauenhandel als am Waffen- bzw. Drogenhandel.

Der Menschenrechtsbeirat kritisiert in seinem letzten Bericht, dass die Richter der Verfahren in der derzeitigen Form nicht berücksichtigen, dass sie auch auf Zwangsprostituierte treffen. Beamte ohne spezielle Schulung fahren in polizeilichen Zivil-Autos in Wiener Gebiete des nicht erlaubten Straßenstrichs und verurteilen Frauen bei Nicken auf die Frage " Ficken fünfzig? Blasen dreißig?" zu einer Strafverfügung über 600 Euro (jeweils 300 Euro für die Übertretung des Prostitutionsgesetzes durch Straßenprostitution an einem nicht zugelassenen Ort und das Nichtvorweisen der Gesundheitskontrollkarte). Kurz wird sogar das Prozedere zur Vereinbarung von Ratenzahlungen erläutert. Die Frauen werden auch bei Schnittwunden oder starken Angstzuständen nicht einzeln befragt.

Sehr pragmatisch: 600 Euro bedeuten, dass der Staat an zwölf Kunden mitkassiert. "Schuldknechtschaft" lasse ebenfalls keine "freie Entscheidung über die Ausübung der Prostitution" zu, steht im Bericht. Die in der Schubhaft beschäftigten Beamten und Beamtinnen erhielten keine Schulung zur Identifizierung von Opfern des Menschenhandels.

Während sich der junge und dynamische Leiter der "Zentralstelle gegen Menschenhandel und Schlepperei", Gerald Tatzgern, vor allem auf die Bettler spezialisiert (wie er als Zuhörer bei der Pressekonferenz des Menschenrechtsbeirates in einem Diskussionsbeitrag ausführte), die ja ziemlich einfach an jeder Straßenecke aufzuklauben sind, und seinen Master auf der Fachhochschule für Strategisches Sicherheitsmanagement zum Thema "Bettelei als freiwillige Lebensgrundlage oder Ausbeutung im Rahmen des Menschenhandels" schreibt, weiten die international vernetzten Hintermänner des Frauenhandels ihre Gewinne aus.

Tatzgern war aber auch hinter den Anklagen gegen Frauenhändler bezüglich 31 bulgarischen Frauen zwischen 18 und 23 Jahren, die bis zu sechs Jahre lang der Prostitution "zugeführt" wurden. Die gerichtlichen Strafen waren nicht besonders hoch, denn die Frauen entschlugen sich vor Gericht der Aussage. "Weil im Hintergrund sehr viel läuft, die fürchten sich", sagt Tatzgern.

"Es wird sich durch die Übernahme der Thematik Menschenhandel durch die Volksanwaltschaft nichts ändern", versprach Volksanwältin Terezija Stoisits auf der letzten Pressekonferenz des Menschenrechtsbeirates. Doch es hat sich bereits etwas geändert: Rechtsanwalt Georg Bürstmayr, der öffentlich befürchtete, dass nun die Schubhaft weniger intensiv kontrolliert werde, wurde nicht mehr zum Kommissions-Leiter bestellt.

"Das wahre Problem ist", so Evelyn Probst von der Interventionsstelle gegen Frauenhandel/Lefö, "dass die von Frauenhandel Betroffenen nur Aufenthalt in Österreich erhalten, wenn das Verfahren nicht eingestellt wird und sie genügend Beweise liefern können."(Kerstin Kellermann, DER STANDARD, 22.8.2012)