Die Wanze im adulten Stadium.

Foto: Lydia Zopf

Die Wanzen sind im ersten Stadium drei Millimeter groß und auch schon sehr stechwütig.

Foto: Lydia Zopf

Sie tragen den klingenden Namen Kissing Bug und sind mit ihrem rötlichen Muster auf dunklem Grund recht prächtig - für Wanzen zumindest. Für Menschen und Tiere sind die südamerikanischen Blutsauger nicht ungefährlich. Sie übertragen die Einzeller Trypanosoma cruzi und verbreiten so die Chagas Krankheit. Die auch als südamerikanische Trypanosomiasis bezeichnete Infektion ist in den meisten lateinamerikanischen Ländern weit verbreitet.

Tausende Opfer in armen Gegenden

Laut Ärzte ohne Grenzen fordert die Parasitose jährlich 14.000 Todesopfer. Am stärksten betroffen ist Bolivien, wo fast vier Millionen Menschen gefährdet sind zu erkranken, fast zwei Millionen laborieren daran. Mit mehreren Zentimetern Größe ist der Blutsauger zwar nicht zu übersehen, aber es gibt einen Haken: Er kommt nur nachts aus seinen Schlafritzen. "Chagas ist eindeutig eine Krankheit der Armen in den ländlichen Gebieten", sagt die Wiener Tropenmedizinerin Ursula Hollenstein. "Die Menschen leben in Hütten, die oft innen nicht verputzt sind - die Spalten sind das ideale Versteck für die Wanzen."

Für Reisende ortet die Internistin keine Gefahr, außer sie übernachten in den traditionellen Lehmhütten, direkt bei den Einheimischen. Hollenstein weiß nur von einem einzigen europäischen Patienten, der von Schweizer Kollegen diagnostiziert wurde und tatsächlich als Tourist unterwegs war - allerdings exzessiv und viele Jahre lang. 

In einer europaweiten Studie 2011 habe man ansonsten ausschließlich Infektionszeichen bei Immigranten aus den betroffenen südamerikanischen Gebieten gefunden. "In manchen Ländern mit einer großen Zahl an Immigranten aus Südamerika wird das allerdings schon auch als Problem diskutiert, denn die Erkrankung könnte theoretisch auch bei Organtransplantationen übertragen werden", so die Expertin.

Die Saugwunde als Hinweis

Für die Menschen in den betroffenen Gebieten ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis sie von einer befallenen Raubwanze gebissen werden, denn eine Schutzimpfung gibt es nicht. Das einzige Indiz für eine mögliche Erkrankung ist die Saugwunde, denn in der akuten Phase treten so gut wie keine Beschwerden auf. Chagas ist nämlich ein leiser Killer: Viele Betroffene wissen lange Zeit nicht, dass sie krank sind. Oft vergehen 20 Jahre, bis die Symptome zu Tage treten. Dann ist die Krankheit schon chronisch und so weit fortgeschritten, dass eine Behandlung wenig Erfolg versprechend ist. 

"Das Herz erweitert sich oder der Darm geht auseinander", beschreibt Hollenstein die Auswirkungen auf den Körper. Lebensbedrohliche Herzinsuffizienz ist eine der schwerwiegenden Folgen. Doppelt problematisch für die Kranken, die meist so gut wie gar keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Sie müssen mit den unbehandelten kranken Herzen leben, was die Lebensqualität immens beeinträchtigt.

Vergessen von der Pharmaindustrie

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet Chagas unter den 17 vergessenen tropischen Krankheiten. Pharmaindustrie und Forschung sind nicht daran interessiert Diagnose- und Behandlungsmethoden zu verbessern, weil Millionen armer Menschen nicht gewinnversprechend sind. "Neglected diseases", der englische Ausdruck trifft den Umstand gut, dass diese Krankheiten unbeachtet bleiben und das obwohl sie aufgrund ihres Ausmaßes und der Mortalität Tuberkulose oder Malaria nahe kommen. 

"Es gibt zwar Medikamente, die in Europa und den USA nicht zugelassen und nur schwer zu bekommen sind, allerdings sind sie sehr toxisch", so Hollenstein, die eine Behandlung mit den derzeit vorhandenen Arzneimitteln daher skeptisch sieht. Dazu kommt, dass eine Therapie nur in der akuten Phase der Krankheit sinnvoll ist - eben dann, wenn noch keine Symptome sichtbar sind. Das macht es laut Erfahrungen von Ärzte ohne Grenzen schwer, Menschen von einer Behandlung zu überzeugen, zumal es derzeit auch keinen Test gibt, dass eine Therapie erfolgreich war. 

Forschung an Überträgern in Wien

Obwohl Chagas in unseren Breitengraden nicht existiert, erfahren deren Überträger derzeit besondere Aufmerksamkeit: Wiener Wissenschaftler interessiert, wie die Blutsauger ihre Opfer orten und mit welchen Sinnesorganen. Angelockt werden sie durch Kohlendioxid, Gerüche und Infrarotstrahlung. Im Labor von Harald Tichy am Department für Neurobiologie der Uni Wien werden die genauen Mechanismen untersucht.

"Wir haben herausgefunden, dass diese Raubwanzen Infrarotrezeptoren besitzen, aber wir wissen noch nicht ob diese Rezeptoren empfindlich genug sind, um mittels Wärmestrahlung den Menschen zu orten", sagt Wissenschaftlerin Lydia Zopf. Momentan deute alles auf Thermosensoren hin, die auch auf Infrarot reagieren. Das Ziel der Forscher: Basierend auf den Erkenntnissen bessere künstliche Fallen zu bauen und in Folge die Wanzenpopulation und Infektionsrate zu mindern. (Marietta Türk, derStandard.at, 1.8.2013)