Etliche Vertreter von inter nationalen Organisationen, NGOs und Investmentbanker vertreten die Meinung, dass insbesondere Spekulation auf den Warenterminbörsen für steigende Preise verantwortlich ist. Aus wissenschaftlicher Sicht kann man darauf kaum besser antworten als Michael Schmitz, Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen, in einem Interview im Handelsblatt: "Das ist empirisch nicht belegt. Das ist einfach nur behauptet." Denn Tatsache ist, dass die überwiegende Mehrheit der wissenschaftlichen publizierten Studien und Artikeln keinen Zusammenhang zwischen dem Handel an Warenterminbörsen und steigenden Preisen feststellen kann.

Die Preissteigerungen der letzten Monate mit Spekulation erklären zu wollen wirkt angesichts der ernsten Dürre und bevorstehenden Ernteausfällen realitätsfern. Die USA stellt um die 40 Prozent der globalen Mais- und Sojaproduktion. In diesem Frühjahr waren die Ernteprognosen noch sehr gut. Jedoch wandelte sich ein milder Frühling in einen zuerst heißen, dann trockenen Sommer. Derzeit erlebt die USA, und insbesondere der Mittlere Westen, eine ernste Dürreperiode.

Der Anbauzustand von Mais und Soja hat sich seit Juni stetig verschlechtert, und gleichzeitig stieg der Preis. Seit Anfang August pendelt sich der Zustand von Mais und Soja auf äußerst niedrigem Niveau ein, und der Preis ist seitdem weitgehend stabil auf hohem Niveau geblieben. Die erwartete Maisernte in den USA hat sich von Juni auf August um etwa 27 Prozent verringert. Entsprechend ist der Maispreis für die neue Ernte an der Chicago Board of Trade (CBOT) von Juni bis Mitte August um mehr als 50 Prozent angestiegen, Soja um etwa 30 Prozent. Der Markt reagiert weitgehend rational und entsprechend auf die neue Lage der zukünftigen Ernte. Hierbei von "Spekulationsblase" aus Preistreiberei zu sprechen hat mit der Realität wenig zu tun.

Unbekannte Börsen

Doch was sind Warenterminbörsen? Und wer sind ihre Akteure? Einerseits Marktteilnehmer im physischen Geschäft mit (Agrar-)Rohstoffen, wie Bauern und Produzenten, Transporteure, Lagerhalter, Verarbeiter. Diese haben Preisrisiken. Zum Beispiel vor dem Säen nicht kalkulieren zu können, wie der Preis für die Ernte im Herbst sein wird, ist ein profundes Risiko, das man lieber nicht hätte. Um ebendieses Risiko abzugeben, kann man an Warenterminbörsen die Ernte schon heute aber mit Lieferung in der Zukunft kaufen oder verkaufen. So erhält man einen Preis, mit dem man kalkulieren kann.

Doch wer übernimmt dieses Risiko dann? Die "Spekulanten" an Terminbörsen. Diese Akteure haben ursprünglich kein Preisrisiko, sind aber gewillt, es zu übernehmen und sich diesem auszusetzen, um ggf. davon zu profitieren. Warenterminmärkte sind deshalb in erster Linie Märkte des Risikotransfers: Terminkontrakte sind Geschäfte, bei denen Risiko zwischen Markteilnehmern, die ihr Risiko abgeben wollen (sog. "Hedger"), und anderen, die gewillt sind, es aufzunehmen ("Spekulanten"), transferiert wird.

Neben kommerziellen und nichtkommerziellen kamen neue Teilnehmer, insbesondere Index-Fonds, in den Markt, doch in ebenso großem Maß kommerzielle Teilnehmer, die Absicherungsgeschäfte ihres physischen Geschäfts betreiben. Von einer "exzessiven Spekulation" kann hier daher kaum die Rede sein.

Christoph Schweifer, Generalskretär für Internationale Programme bei der Caritas Österreich, betont: "Wir haben 925 Millionen Hungernde, alle zwölf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger." Genau deshalb aber sollte man die Aufmerksamkeit auf die Faktoren von Angebot und Nachfrage der physischen Rohstoffe richten: Wettereinflüsse und Dürren, schlechte Lagerung, Förderung von Biokraftstoffen, limitierte Agrarflächen, Unterinvestition der Landwirtschaft und auch protektionistische Handelspolitik. In der "Spekulation" den Schuldigen zu suchen mag zwar populistisch einfach sein, wird aber weder mehr Nahrung erzeugen, noch mehr Mägen füllen. (Georg Lehecka, DER STANDARD, 23.8.2012)