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"Als Buddha sah, wie sich alle Menschen nach Glück sehnen und alle aus diesem Antrieb heraus das Falsche taten, vergoss er der Legende zufolge einen See voll Tränen." Statue im Nationalpark Ang Thong (Thailand).

Foto: EPA/Walton

Thomas Sautner, Jg. 1970, Schriftsteller und Essayist, lebt im nördlichen Waldviertel und in Wien. Am 19. September liest er erstmals aus seinem neuen Roman "Der Glücksmacher" (MOYA, Museum of Young Art, Renngasse 4 - auf der Freyung, 1010 Wien, 19 Uhr).

Foto: Alexandra Einzinger

Es war einmal ein Mädchen, das hatte vier Väter. Der erste war ein wohlhabender Kaufmann, und so lernte sie, dass Geld nicht glücklich macht. Der zweite war ein hoher Politiker und daher wusste sie, dass auch Wichtigsein kaum Glück einbringt. Der dritte Vater frönte allen nur denkbaren leiblichen Genüssen und so beobachtete sie: Glück verheißt solches Leben nicht. Der vierte schlussendlich war Priester, und so erlebte sie, dass selbst das tägliche Gebet keineswegs in den siebten Himmel führt.

Das Mädchen überlegte, welche Schlüsse es für sich ziehen sollte und entschied, die Wege ihrer Väter zu vereinen. So musste sie erleben, dass selbst alles zusammengenommen nicht dauerhaft glücklich machte. Allzu flüchtig wurde sie vom Glück gestreift, ganz gewinnen konnte sie es nie. So sehr sie sich auch mühte, so sehr sie das Glück auch zwang, es entwischte. Schließlich beschloss das Mädchen - das mittlerweile gealtert und etwas unleidlich geworden war -, die Großmutter um Rat zu bitten. "Wo wohnt das Glück?", drängte sie. "Wie kann man es erlangen?"

Gott, flüsterte ihre gebrechliche Großmutter, küsse einen Menschen jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend. Der Mensch aber bemerke die Herrlichkeit der Augenblicke nicht. "Nichts tun und nichts werden musst du, mein Kind", sagte die Alte. "Glück ist, es zu erkennen."

Das Mädchen wiederholte die Worte der sterbenskranken Großmutter in Gedanken und nickte. "Weshalb", fragte es daraufhin und sah auf, "weshalb hast du diese Wahrheit nicht schon deinen vier Söhnen gelehrt, dem Kaufmann, dem Politiker, dem Schwerenöter und dem Priester?"

"Mein liebes Kind", antwortete schwach und lächelnd die Alte, die schon näher dem Tod als dem Leben schien, "ich habe es doch selbst erst jetzt erfahren."

Dass wir Menschen dazu neigen, das Glück erst wahrzunehmen, wenn es bereits verblasst und zur Erinnerung wird, ist bekanntlich kein Märchen. Aber wie verhält es sich bei den Ausnahmetalenten des Glücks, den Weisen dieser Welt? "Viele Menschen glauben, ich sei immer glücklich", sagt der für seine Heiterkeit bekannte Lama Ringu Tulku, "aber so ist das leider nicht. Ich habe da andere Erfahrungen gemacht."

Herrlich gedankenlos

Selbst Buddha, der weithin als Personifizierung des Glücks gilt, wusste sich unmittelbar nach seiner Erleuchtung keinen Rat: Als er die Menschen beobachtete, wie sie sich alle nach demselben sehnten, nämlich nach Glück, und alle aus diesem Antrieb heraus das Falsche taten, vergoss er der Legende zufolge einen See voll Tränen. Sonderlich happy war er zu jener Zeit also auch nicht. Und da sich weder die Welt noch die Menschen übermäßig geändert haben und für Buddha also kein äußerlicher Anlass vorlag, mit dem Weinen aufzuhören, scheint jener Moment, in dem die glückstrahlende Buddha-Statue seinem Vorbild abgeschaut und modelliert wurde, ein herrlich gedankenverlorener gewesen zu sein, um nicht zu sagen ein gedankenloser.

Womit wir bei einer entscheidenden Sache angelangt sind: Wir machen uns zu viele Gedanken. Pausenlos tun wir es. Glücksvergessene Momente haben bei uns keine Chance. Denn wir denken nach und wir denken vor. Ausgiebig interpretieren wir das Vergangene und planen facettenreich eine Zukunft, die anders kommt. Und wozu all der Aufwand? Des Glücks wegen, freilich.

Meist trägt es Gewänder, die seinen Kern verschleiern, dann sagen wir Erfolg dazu, Gewinn, Gelingen, Genuss, Gesundheit, Sieg, Liebe, Leistung, Sex. Doch allein die Jagd nach diesem Glück beruht auf einem Missverständnis. Schließlich hängt der Wert des Glücks nicht von seiner Menge ab, sondern vom Maß, nach dem es gemessen wird.

Hinzu kommt ein zweites Missverständnis, das unsere Welt unglücklicher macht, als es nötig wäre: die Annahme nämlich, dass das eigene Glück auf Kosten anderer vermehrbar ist. Das Ergebnis sind Kriege zwischen Menschen wie zwischen Staaten, ist die Kluft zwischen Arm und Reich, ist Umweltzerstörung. Anderen absichtlich schaden, nein, wer will das schon. Doch Eitelkeit und Habgier sind keine exklusiven Egoismen von bösen Börsenbrokern und kaltblütigen Spekulanten, sie sollen doch tatsächlich schon in den besten Familien vorgekommen sein.

Und so sind auch wir Teil eines Rennens geworden, das oft in Hamsterrädern stattfindet: ziemlich viel Anstrengung und Wirbel, ziemlich wenig Vorankommen. Ziemlich wenig sinnvoll Substanzielles auch, auf das sich wahrlich stolz sein lässt.

Doch wir sehen nach rechts und wir sehen nach links, und da wird auch gelaufen und gehüpft und teils schneller und höher und schöner und besser, und was bleibt einem also übrig?

Es mag schon sein, dass Geben seliger ist als Nehmen. Und es klingt auch ganz nett, dass sich das Glück (ebenso wie die Liebe übrigens) nur durch Teilen verdoppeln lässt. Aber vorher hätten wir schon gerne das neue Smartphone, den Flatscreen, das Tipptopp-Fertigteilhaus. Vorher drängt es uns, das Pflichtprogramm zu erledigen, wäre es doch auch beruhigend, etwas mehr auf dem Konto zu haben.

Als ob es denn noch eines Arguments bedürfte, um uns anzutreiben, blendet uns Tag für Tag der Schein von Idylle, der uns glauben macht, dass wir noch zu wenig haben, dass wir noch schöner sein könnten, noch satter, noch erfrischter, amüsierter, gesünder, begehrenswerter, befriedigter, verliebter, weißer als Weiß. Überglücklich mit einem Wort. Und obgleich sämtliche Hamsterradgesellschaften und Hamsterradunternehmen gerne mit klugen Zitaten daherkommen - eines war noch nie dabei: Senecas "Nie ist zu wenig, was genügt".

Zielgerichtet ins Leere

Dass selbst jene, die das ähnlich sehen, etwa Aussteiger, Yoga-Begeisterte, Glücks-Seminaristen, Meditierer, Klosterwochenende-Bucher und Jesus rezitierende Wallfahrer zielgerichtet ins Leere tappen können, wusste schon der katholische Prediger Meister Eckhart, wenn er (Glück mit Gott gleichsetzend) meinte: Suchst du, findet du nicht. Damit war er einer der unzähligen Weisen aus allen Himmelsrichtungen und Konfessionen, die - teils nach langer gegenteiliger Praxis - zum Schluss gekommen sind, dass dem Leben nun einmal kein eigenmächtiges Glück abzutrotzen sei. Ja selbst von denen nicht, die es geradezu wissenschaftlich versuchen, allen Ernstes sozusagen, rational und gänzlich ironiefrei. Mehr und mehr glückselige Momente würden nämlich ausschließlich jenen Menschen geschenkt, die einerseits nach ihrem Gewissen handelten und es anderseits verstünden, die unveränderbaren Dinge des Lebens schlicht so zu akzeptieren wie sie nun einmal seien. Reifen Menschen fällt das naturgemäß etwas leichter als jüngeren.

Je erfahrener kluge Köpfe übrigens werden, desto einfacher und abgeklärter scheint ihre Glücksformel zu geraten. Für den weltlichen Ernest Hemingway bestand Glück lediglich aus zwei Komponenten: einer guten Gesundheit und einem schlechten Gedächtnis. Der Dalai Lama hält es ähnlich. Mit großer Erwartungshaltung befragt, was denn sein Glücksgeheimnis sei, grinste er spitzbübisch und gab anstatt wichtig Großgeistigens die Parole aus: "Viel schlafen und gut essen."

Generell mögen Philosophen, Gurus und Meister in Detailfragen unterschiedlicher Ansicht sein, wie wahres Glück zu finden ist. Ähnlich sind sie sich in ihrer lakonischen Ironie. Im Waldviertel etwa kursiert die Geschichte einer kauzigen, doch hellsichtigen Greisin. Sie lebte im Wald, und weil sie für ihre schlauen Ratschläge bekannt war, wurde sie einmal von einem jungen Mann aufgesucht. Er klopfte an die Tür der Alten, und als sie öffnete und sich etwas mürrisch erkundigte, was er denn hier in der Einschicht bei ihr wolle, antwortete der Besucher wahrheitsgemäß, er suche nach dem Glück. Die Alte wandte sich, um, sah in die Ecken ihrer winzigen Hütte und sagte: "Du kannst wieder gehen, hier ist es nicht."

(Jene Rationalisten, die bis jetzt noch immer nicht von der Frage losgekommen sind, wie das Mädchen zu Beginn dieses Textes um Himmels Willen vier Väter haben konnte, mögen sich getrost entspannen, liegen sie doch völlig richtig: Der Erfolg mag ja durchaus viele Väter haben. Doch das Glück?) (Thomas Sautner, Album, DER STANDARD, 25./26.8.2012)