Georges Perros? Selbst literatur affinen Franzosen dürfte dieser Name nicht übermäßig viel sagen, auch wenn Perros' Bücher im renommierten Pariser Verlagshaus Gallimard erscheinen. Welch Wagnis also des traditionell frankophilen und traditionell abenteuerlustigen Matthes & Seitz Verlages, diesen französischen Poeten erstmals auf Deutsch zu präsentieren, eine Übersetzung seines autobiografischen, poetischen und poetologischen, nachsinnenden und ironischen, geistreichen, spöttischen und bewusst der Stadt den Rücken kehrenden "Gedichtromans" vorzulegen. Daran erfolgreich gewagt hat sich die seit fast 20 Jahren in Paris lebende Autorin Anne Weber, die neben ihren eigenen Büchern, etwa Luft und Liebe, schon vieles übertragen hat. Vom Französischen ins Deutsche beispielsweise Arbeiten Pierre Michons und Marguerite Duras'; aber auch Bücher Wilhelm Genazinos und Sibylle Lewitscharoffs ins Französische.

Als Georges Poulot 1923 in einem Pariser Arbeiterbezirk geboren, brach Perros die Schule ab, wurde Schauspieler, spielte ab 1949 auf großen Pariser Bühnen, war mit Gérard Philippe befreundet. Seit 1953 erschienen erste Veröffentlichungen, seit seinem endgültigen Abschied von der Bühne und von Paris - er zog 1959 nach Douarnenez, eine kleine Hafenstadt in der Bretagne (infolgedessen "britannisierte" er seinen Namen zu "Perros") - widmete er sich kompromisslos der Literatur. Sein mit mehr als 1000 Seiten umfangreichstes Werk, die aus Aphorismen, Aufzeichnungen, Notaten, Porträts von Freunden und Förderern bestehenden Papiers collés, drückt bereits im Titel schön das Zerrissene, das Collagierte wie das wie in Matisses Papierrissen Welt-Durchscheinende aus. Passenderweise hat Gallimard vor einigen Jahren die Papiers collés in drei Bänden in seiner wohlfeilen Taschenbuchreihe "Imaginaire" neu herausgebracht.

Was nun ist Une vie ordinaire, so der Titel des 1967 erschienenen Originals von Luftschnappen, diesem "Gedichtroman"? Es ist nicht: ein langes Erzählgedicht, eine metrisch penible Vermessung der Welt, eine dithyrambische Dichtung. Vielmehr, und Anne Weber findet dafür rhythmisch ausnehmend guten Ausdruck, ist dies ein Nachdenken in kunstvollen Vers sprüngen und Zeilenbrüchen über das (eigene) Leben, was erreicht und was verfehlt wurde, was unerreicht blieb. Es ist keine ganz leichte Lektüre; und doch nie hermetisch. Es ist ambitioniert, und doch nie abgehoben. Es ist ungewöhnlich; zugleich nie dunkel oder abweisend. Dazu respektlos, furchtlos, es hat Witz, Gewicht und durchkomponierte Tiefe.

Dieses Buch des 1978 verstorbenen Perros gehört in eine Reihe mit anderen fast unbekannten kleineren meisterhaften Arbei - ten aus Frankreich, Louis-René des Forêts' Prosa Ostinato beispielsweise oder Eugène Guillevics Gedichten, von denen auf Deutsch 1991 eine Auswahl erschien. Georges Perros: "Was ich schreibe / steht auf der Mauer der Nacht / Den Säuglingen des Nichts wird / der Mund noch wässrig werden." (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 25./26.8.2012)