Bild nicht mehr verfügbar.

Sogar das, was es noch nicht gibt und daher demnächst das "große Ding" werden soll, war schon da. Und ist wieder verschwunden.

Foto: APA/EPA/MICHAEL BOTHAGER

DER STANDARD-Schwerpunktausgabe Die Zukunft der Mobilität.

Foto: derStandard.at

Die Schwachstelle des Fahrrads ist seine Existenz. Dass das Rad bereits erfunden ist, können ihm Marketingstrategen nicht verzeihen. Und schon gar nicht, dass es im Kern, beim Antrieb, ausgereift ist: Während Verbrennungsmotoren effizienter gemacht werden können und dennoch als Konzept mit Ablaufdatum gelten, ist das Fahrrad fertig. Seit mehr als 100 Jahren: Das Ding steht. Besser: Es fährt.

Klar: Optimierungen bei Gewicht, Material, Haltbarkeit & Co kommen zuhauf - aber darum geht es nicht. Denn die Essenz ist da. Mehr noch: Sogar das, was es noch nicht gibt und daher demnächst das "große Ding" werden soll, war schon da. Und ist wieder verschwunden. "Aus gutem Grund: Es bringt nichts."

Das sagt einer, der es beweisen kann: Michael Embacher besitzt mehr als 200 Fahrräder. Die Bücher über seine Sammlung (zuletzt erschienen: Cyclopedia - Modernes Fahrraddesign, Dumont 2011) gelten als Standards der Rad-o-logie: "Hersteller bejubeln heute Zahnriemen-, Kardan- und Stangenantrieb als Quantensprung", erklärt Embacher. "Dabei gab es all das vor über 100 Jahren schon. Nur war und ist die Kette besser." 

"Aktionäre fordern Wachstum"

Der Grund für derlei Neuauflagen? "Aktionäre fordern Wachstum. Shimano etwa hält am Schaltungsmarkt gefühlte 98 Prozent. Also redet man Normalverbrauchern jetzt elektronische Schaltungen ein. Die machen höchstens im Rennbetrieb Sinn."

"Übrigens: Die gab es schon. Kurz. In den 60er-Jahren," ergänzt der Wiener Radhistoriker Michael Zappe. Und wird grundsätzlich: "Kreiskys 'Lernen Sie Geschichte‘ gilt: Viele Ingenieure glauben, wirklich Neues zu erfinden." Und so werde auch der Pferdefuß stets "neu" entdeckt: "Schon in den 1890er-Jahren funktionierte der Zahnriemen im Flachen - aber wehe, es ging bergauf." Als Erfinder des "Reibungsverlustes", so Zappe, wollte noch kein Ingenieur gelten: "Die Dinge verschwinden still und leise wieder."

Man kann aber auch gnädig sein: Kinder der 1970er-Jahre erinnern sich an die Nabenschaltungen vieler Räder von damals. Heute kommen diese "unsichtbaren" Schaltungen wieder. "Das ist eine Innovation", sagt Martin Blum. Denn obwohl der Chef der Wiener Radagentur (eine Schnittstelle zur Förderung des Radverkehrs; Anm.), weiß, dass Nabenschaltungen auch schon in den 1940er-Jahren gebaut wurden, gebe es einen Unterschied: "Heute sind sie wirklich gut."

Was Blum mehr amüsiert: Wenn einstige Mankos zum Asset erklärt werden. Das schicke "Single Speed" von heute war einst Inbegriff ökonomischer Impotenz: ein Fahrrad ohne Gänge - während die Freunde Puch-Clubman fuhren. Und später auf Mountainbikes saßen, denen das Biopace-Kettenblatt kraft seiner Ovalität sagenumwobenen Vortrieb schenkte. Bei "Biopace" muss Hans Blutsch auflachen- obwohl er kein Rad-, sondern Laufexperte ist: "Bei der Tour de France fuhren heuer einige ein sensationelles, neues Kettenblatt: Es war oval. Ein älterer Kommentator warf dann ein, dass diese 'Revolution‘ schon vor 25 Jahren da war - und wieder verschwand."

Barfußlaufschuhe

Blutsch - eine Instanz bei der Suche nach dem "richtigen" Laufschuh - fand das tröstlich: "In meiner Branche ist es auch so." Das aktuelle "große Ding" sind "Barfußlaufschuhe". Schuhe, die dem Fuß (beinahe) das Gefühl des Barfußlaufens geben. "Eine Abwechslung. Aber sicher nicht die Neuerfindung des Laufens." Das gelte auch für den vor ein paar Jahren ausgerufenen Megatrend zum "Leichtschuh" (extrem dünnsohlige Laufschuhe; Anm.): "Im Wettkampf gilt das Konzept, den Fuß nicht zu verwöhnen seit 40 Jahren." Blutsch wird ernst: "Für die meisten Durchschnittsläufer ist das nichts: Da gilt das Mantra von Dämpfung, Stütze und Führung."

Doch der 60-jährige Laufprofi hat Demut gelernt: "Ich bin schon froh, wenn Schuhe nicht verschlechtbessert werden. Heute werkeln überall Designer, die kaum älter als 25 Jahre sind. Ein Blick ins Museum oder sich an dem zu orientieren, was funktioniert, gilt da als uncool."

Freilich eröffnen neue Materialien neue Spielplätze. Also Märkte: Nach "Walking" ("Gehen mit Stöcken" klingt zu wenig nach Bewegungsrevolution), ist nun "Trailrunning" angesagt. Die Klientel ist da - sonst würde etwa der Bergsportkonzern Mammut nicht erstmals eigene Schuhe dafür anbieten. Andererseits würde ohne funktionierende Hardware kein Hobbyläufer freiwillig im Gelände durch den Gatsch und über Stock und Stein hüpfen: "Da hat sich viel getan", bestätigt Uwe Bauer. Bauer ist beim US-Konzern Gore für Sport- und Bergschuhe zuständig. Gore stellt mit Goretex die bekannteste jener wasserfesten Membranen her, ohne die im Outdoor-Bereich längst nichts mehr läuft. "Wie sehr sich die Schuhe verbessert haben, ist schwer messbar - aber individuell spürbar", sagt Bauer. 2014 stehe der nächste "spürbare, große Sprung" an.

Aber das Wort "Revolution" vermeidet Bauer: "Wissen Sie: Der Absatz ist beim Schuh immer noch hinten. Und das wird wohl so bleiben." (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Schwerpunktausgabe "Die Zukunft der Mobilität", 25.8.2012)