Während der Olympischen Spiele konnte man beobachten, wie sich das Gastgeberland Großbritannien in seltener Manier dem öffentlichen Jubeln hingab. Das Land wurde im Medaillenspiegel Dritter, nach den USA und China, viel größeren Ländern, aber vor Russland, das normalerweise um den ersten Platz kämpft.

Was also ist der Schlüssel zum Erfolg? Vor den Spielen verband die Financial Times vier Wirtschaftsmodelle miteinander und gelangte zu der folgenden "Konsensprognose" (die erzielten Medaillen sind in Klammern aufgeführt): 1. USA 39 (44), 2. China 37 (38), 3. Großbritannien 24 (28), 4. Russland 12 (21), 5. Südkorea 12 (13) und 6. Deutschland 9 (11). Die Rangfolge selbst wurde sowohl bei den Goldmedaillen als auch im Gesamtspiegel korrekt vorhergesagt.

Die erstaunlichste Erkenntnis ist, dass die Medaillenbilanz anhand von vier Hauptvariablen mit großer Genauigkeit vorhergesagt werden kann: Bevölkerung, Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt, vergangene Leistungen und Gastgeberstatus. Alles andere - Trainingsinfrastruktur, bessere Ausrüstung etc. - ist eigentlich nur heiße Luft.

Der Einfluss von Bevölkerung und BIP ist offensichtlich. Bei einer großen Bevölkerung sind die Chancen, viele Medaillen zu gewinnen, höher. Und ein hohes BIP bedeutet, dass das Land Geld hat, um es in die Infrastruktur zu investieren.

Die Leistung in der Vergangenheit ist auch wichtig: Die Sichtbarkeit und das Prestige einer Sportart nehmen nach einem olympischen Erfolg zu. Und schließlich bietet der Heimvorteil nicht nur eine gute Stimmung und die Gelegenheit, an den olympischen Sportstätten zu trainieren, sondern auch die entsprechende Mittelbereitstellung, die der Gastgeberstatus mit sich bringt.

Daraus ergeben sich zwei Fragen: Erstens, warum sollte ein Land so viele Mittel darauf verwenden, auf Kosten anderer wünschenswerter Güter Trophäen anzuhäufen? Und zweitens, kann das Rezept für die "Auswahl der Gewinner" beim Sport auch für den Wettbewerbserfolg in internationalen Handel eingesetzt werden?

Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich nicht von selbst. Ein Ökonom würde sagen, dass Geld für Bildung, Wohnungsbau und das Gesundheitswesen mehr "Wohlstand" bringt als das Geld, das auf der Suche nach den Medaillen ausgegeben wird. Aber das Argument berücksichtigt nicht die Auswirkungen eines sportlichen Erfolges auf die nationale Moral.

Das führt uns zu der zweiten Frage: Können die Methoden, die olympische Sieger hervorbringen, in anderen Bereichen angewandt werden? In der anglo-amerikanischen Ökonomie ist nichts so verpönt wie "Gewinner zu wählen". Wirtschaftlicher Erfolg sei etwas, das man besser dem ungestörten Spiel der Marktkräfte überlässt. Diese Philosophie wird aber von zwei unbequemen Tatsachen schwer angeschlagen: Der Finanzkrise von 2007-2008 und der Erfahrung von Ländern wie Japan, Südkorea, Taiwan, Deutschland und sogar den USA, wo der wirtschaftliche Erfolg stark von einer anhaltenden staatlichen Investition abhängig ist. Wie im Sport, so auch im wirtschaftlichen Leben: staatliches Engagement kann einen Erfolgskreislauf in Gang setzen, während die Vernachlässigung durch den Staat einen Teufelskreis hervorrufen kann. (ROBERT SKIDELSKY, DER STANDARD, 25/26.8.2012)