Hat man dieses Krokodil in Kärnten nun endlich gefunden, oder hat es mich umsonst in den Wahnsinn getrieben? Weil das war nämlich so. Ich tingel mit dem sechsbeinigen Goldflügerl - der Honda Gold Wing mit dem Sechszylinder-Motor; für die, die weniger auf die blumige Ausdrucksweise stehen - gen Süden.

Foto: Gluschitsch

Eine Zeit lang geht das ziemlich gut. Die neue 6-Speaker-80-Watt-Surround-Anlage trägt mir Marvin Gaye, Jeff Cascaro und John Whitehead nach, während ich die Stadt hinter mir lasse. Doch irgendwann schafft es der Wiener Lokalsender nicht mehr, mich mit Musik zu versorgen. Meeresrauschen und Stakkato-Beats wechseln sich ab.

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Jetzt könnt ich zwar das iPhone anschließen und weiter auf der Soul-Welle cruisen, aber dazu müsste ich stehen bleiben. Im ersten, benzinilluminierten Augenblick meine ich, auf Ö3 zu wechseln sei das geringere Übel. Vor allem auf der Autobahn hört man den Dreck dann ja sowieso nicht.

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Und so vergesse ich auch darauf, dass das Radio rennt. Und vergesse fast darauf zu tanken. Last Exit Autobahnraststation. Die fliege ich mit meinem Goldflügerl an. Extrem lässig. Super cool. Abseits der Zapfsäulen stehen ein paar Biker. Schwere Eisen, schwarze Kutten. Ein paar düngen den Lungenkrebs, andere die Diabetes. Aber alle schauen sie auf das weiße Riesentrumm, das in Richtung Zapfsäulen schießt.

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Als Fahrtwind und Motorengeräusch verstummen, erlangt der Radio wieder die Oberhand. "Schni-schna-schnappi", scheppert es aus den Boxen. Ö3 ist grad wieder sehr lustig und erinnert sich ob des Krokodils in Kärnten wieder an den Gassenhauer aus dem Viertel der Sesamstraße.

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Die bewundernden Augen der Biker haben sich über gespreizten Mündern zu Schlitzen verformt. Einer spuckt sein Cola in weitem Bogen von sich, und mir ist klar, es gibt jetzt nur zwei Auswege. Entweder ich spiel den Coolen, der sich nix um die anderen pfeift, und vertraue darauf, dass man mich hinter dem verspiegelten Visier nicht weinen sieht. Krokodilstränen, versteht sich.

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Oder ich zupf noch einmal das Gas der Gold Wing auf, schicke die fast 120 PS aus dem 1,8 Liter großen Sechszylinder ans Hinterrad, drehe erst wieder ab, wenn mir der Airbag gesichtsfüllend die Sicht nimmt und schlage mit der 420 Kilogramm schweren Honda eine Schneise durch die Pornomagazine, Schnitzelsemmeln und Wunderbäume rund um die Verkaufsbudel.

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Nein, letztere Option ist gar keine. Auch wenn es mich reizen würde, den Airbag einmal vom Lenker aus in Aktion zu sehen. Und nein, es liegt auch nicht an der Kleinformat-Schlagzeile, die ich schon vor mir sehe: "Biker schni-schna-schnappt an Raststation über."

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Bevor ich das Goldflügerl abstelle, schalte ich das Radio aus. Diesmal für immer. Er bringt ja eh nix. Beim Fahren musst du, um sie zu hören, die Musik so laut machen, dass die Leute auf der Straße, schon Minuten bevor du vorbeifährst, über den vermeintlichen GTI oder Civic - wenn wir bei Honda bleiben wollen - lachen.

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Die Gold Wing nimmt es mir nicht übel, dass ich eines ihrer Features - und damit eine ganze Batterie von Bedienknöpfen - nicht mehr nutzen werde, und begrüßt mich nach dem Tanken trotzdem freundlich. "Hello Mr. Gluschitsch" leuchtet am Bildschirm des Navi-Multifunktionsdisplays. Das bringt zwar nicht das ganze Selbstvertrauen wieder zurück, schmeichelt aber doch. (Guid Gluschitsch, derStandard.at, 27.8.2012)

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Honda GL1800 Gold Wing (Airbag)

Motor: 6 Zylinder-4-Takt-Motor, 12 Ventile
Hubraum: 1832 ccm | Leistung: 87 kW (117 PS) bei 5.500 U/min
Drehmoment: 167 Nm bei 4.000 U/min
Kraftübertragung: Kardan
Radaufhängung vorne: 45 mm Teleskop-Gabel mit Anti-dive
Radaufhängung hinten: Pro-Link Pro-Arm mit elektronisch kontrollierter Federvorspannung
Bremse vorne: Doppel-Scheibenbremse, Ø 296 mm, 3 Kolben, C-ABS
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 316 mm, 3 Kolben, C-ABS
Reifen vorne: 130/70 R18 | Reifen hinten: 180/60 R16
Gewicht vollgetankt: 421 kg | Sitzhöhe: 740 mm
Preis: 37.500 Euro

+ Fast ein Auto auf zwei Rädern, mit einem Stauraum von 150 Liter, 6-Zylinder-Motor, Radio, Airbag, Retourgang und und und ...

- Um knapp 40.000 Euro findet man auch ein Auto mit vier Rädern, einem Stauraum von 150 Liter, 6-Zylinder-Motor, Radio, Airbag, Retourgang und und und ...

Foto: Gluschitsch