Wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms eines Menschen unumkehrbar erloschen ist, ist er hirntot. So lautet die Definition. Wie aber kommt es dazu? Wenn das Gehirn so schwer beschädigt wird, dass durch Hirnblutungen das Gewebe anschwillt, steigt der Druck im Schädelinneren. Ist er größer als der Blutdruck, wird das gesamte Hirn nicht mehr durchblutet: Die Zellen sterben ab. Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm funktionieren nicht mehr. Irreversibel. Wenn der Patient künstlich beatmet wird, bleibt der Kreislauf stabil. Das Herz schlägt, die Organe arbeiten weiter. Der Körper bleibt warm - aber der Mensch ist tot. 

Das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) hat Ende 2005 "Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme" veröffentlicht, die bis heute gültig sind. Neurologen, Neurochirurgen oder Intensivmediziner stellen die Diagnose. "Drei bis vier Ärzte sind an der Untersuchung beteiligt, die unabhängig voneinander arbeiten, es gibt daher auch keine Zweifel an der Diagnose", sagt Erich Schmutzhard, Leiter der Intensivstation der Innsbrucker Universitätsklinik für Neurologie.

Stufenweise Hirntoddiagnostik

Bevor der Patient auf einen möglichen Hirntod untersucht wird, muss eine Hirnschädigung mit Hilfe einer Computertomografie oder auch einer Magnetresonanztomografie nachgewiesen werden. Medikamente, Vergiftungen, Muskelrelaxationen, Unterkühlungen, Kreislaufversagen sowie Über- oder Unterzuckerung und Sauerstoffmangel müssen ausgeschlossen werden. 

Dann erst wird der Patient von einem weiteren Arzt auf sämtliche Hirnstammreflexe untersucht. Reagieren die Pupillen auf Lichteinfall? Ist der automatische Lidschluss erloschen? Reagiert der Patient auf Schmerzreize im Gesicht? Bleiben Würg- und Hustenreflexe aus? Steigt der Blutdruck bei Druckprovokation, die Herzfrequenz durch bestimmte Medikamente an? Abschließend wird der Apnoetest durchgeführt. Dabei wird der Patient vom Beatmungsgerät getrennt. Atmet er nicht spontan, funktioniert der unterste Abschnitt des Hirnstamms nicht mehr. 

Damit beginnt die ergänzende Untersuchung durch einen weiteren Arzt. Die Aktivität der Nervenzellen in der Hirnrinde wird mittels EEG aufzeichnet. Ist ein EEG aufgrund der schweren Verletzung nicht möglich, wird der Kreislaufstillstand im Hirn durch eine bildgebende Darstellung der Blutgefäße nachgewiesen. Zum Einsatz kommt dabei eine Dopplersonografie oder eine Computertomografie-Angiografie (CTA). Um die Diagnose Hirntod zu bestätigen, wird eine zweite klinische Untersuchung durchgeführt. Erst dann wird der Patient für hirntot erklärt und für eine Organentnahme freigegeben. "Das Ergebnis ist zu hundert Prozent gesichert, eine Fehldiagnose gibt es nur, wenn die Einschränkungen für die Diagnose ignoriert werden", sagt Schmutzhard. 

Hirntod entspricht Individualtod

So klar die Hirntoddiagnose geregelt ist - der Hirntod an sich wird seit kurzem wieder als Kriterium für den Tod eines Menschen in Frage gestellt. 1968 hat die Harvard Medical School in einem Ausschuss die neurozentrische Definition des Hirntods vorgeschlagen, wonach der Hirntod mit dem Individualtod des Menschen gleichgesetzt wird. Vor vier Jahren hat das US-amerikanische President's Council of Bioethics dieses Kriterium aber erneut hinterfragt. Der Tod sei biologisch zu verstehen, nicht neurologisch. Und Hirntote sind biologisch aktiv. Sie schwitzen und bilden Exkremente, Haare und Fingernägel wachsen weiter. Frauen können, wenn sie weiter künstlich beatmet werden, ihre Kinder auf die Welt bringen, die Schwangerschaft wird über die Gebärmutter hormonell gesteuert und so aufrechterhalten. Männer können Erektionen haben. 

Wann ist ein Mensch also tatsächlich tot? Ist das Hirn wirklich die zentrale Steuerung des Organismus? Hirntod-Befürworter sind davon überzeugt. Ohne Gehirn ist der Mensch nicht fähig, sozial zu interagieren, selbstständig zu atmen, zu denken, zu fühlen. Er ist als Einheit nicht mehr da. Und daher tot, sagen sie. Argumente, die bei einer öffentlichen Diskussion, die der deutsche Ethikrat Ende März organisierte, gebracht wurden. Seit Anfang August gilt nämlich in Deutschland eine Neuregelung zur Organtransplantation, die im Vorfeld zu Debatten über den Hirntod geführt hat. Am 1. November tritt auch die Entscheidungslösung in Kraft, wonach sich Versicherte für oder gegen eine Organspende entscheiden müssen - in Österreich hingegen gilt die Widerspruchregelung: Jeder ist Organspender, sofern er die Widerspruchserklärung nicht unterschrieben hat. 

Instabiler Zustand

Der deutsche Ethikrat stellt sich daher die Frage: Ist ein Mensch tot, wenn sein Gehirn unumkehrbar zerstört ist? Oder erst, wenn alle Zellen abgestorben sind? Eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die in Österreich skeptisch beobachtet wird. Etwa von Johannes Bonelli. Der Internist und Intensivmediziner findet es in einem in der "Österreichischen Ärztezeitung" veröffentlichten Kommentar "erstaunlich", "dass im Zuge der gesetzlichen Neuregelung zur Organtransplantation in Deutschland eine emotionale Debatte vom Zaun gebrochen wurde über Leitlinien, die sich seit Jahrzehnten bewährt haben".

Immerhin werde der künstlich beatmete Körper eines Hirntoten durch intensive medizinische Maßnahmen von außen am Stillstand gehindert. "Keinesfalls aber kann beim Hirntoten auf Dauer künstlich ein stabiler Zustand erreicht werden", schreibt der Direktor des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in Wien. Und weiter: "Wenn vor Beendigung der Therapie der letztlich unaufhaltsame Zersetzungsprozess der Organe des Hirntoten durch eine aufwendige medizinische Intervention von außen noch für einige Stunden künstlich in die Länge gezogen wird, um deren Transplantation zu ermöglichen und einem sonst todgeweihten Mitmenschen das Leben zu retten, kann dies doch nicht plötzlich verwerflich sein. Der Status des Hirntoten ändert sich dadurch in keinster Weise." 

Narkose bei Organennahme

Der Hirntod ist zwar diagnostisch erklärbar, emotional aber schwierig zu verarbeiten. Ein Toter ist ein Leichnam. Wenn aber der Kreislauf eines Hirntoten künstlich aufrechterhalten wird, funktioniert das vegetative Nervensystem des Rückenmarks noch. Bei der Organentnahme kann es daher zu Bluthochdruck, Beugekontraktionen oder Schweißausbrüchen kommen. 

In der Schweiz werden Hirntote bei der Organentnahme voll narkotisiert - in Österreich und Deutschland werden während der Operation Muskelrelaxantien und Opiate angewendet, um Reflexe, Blutdruck- und Frequenzsteigerungen zu vermeiden. Eine Narkose zur Ausschaltung des Bewusstseins und der Schmerzreaktionen eines Hirntoten ist überflüssig, weil das Gehirn und die zentralen Rezeptoren nachgewiesenermaßen und unumkehrbar ausgefallen sind, schreibt die Deutsche Stiftung Organtransplantation in ihrem Leitfaden zur Organspende. "Es gibt keinen Grund, Narkosemittel zu verabreichen", sagt auch Erich Schmutzhard. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 29.8.2012)