Vielfältig und ambivalent, so lässt sich nicht nur der Inhalt der Beiträge zum Thema Kreativität, sondern auch der Begriff selbst beschreiben. Dahinter stehen nicht selten konträre Weltanschauungen und überholte Rollenbilder, vor allem wenn es um künstlerische Kreativität geht.

Das hat Entwicklungsgeschichte. Die Urdomäne der Kreativität ist die Kunst, und sie war eng mit dem Geniebegriff verbunden. Ein Begriff, der den historischen Künstlermythos begründet und bis heute zur Diskussion steht, wenn es um das Künstlerbild in der Gesellschaft geht. Es ist ein symbolisch aufgeladenes Bild, nach wie vor an die vage Vorstellung von Lebenskünstlern, Außenseitern, Idealisten angelehnt, nicht zuletzt aufgrund der nonkonformen Werthaltungen und Lebensstile. Ein Fremdbild, das weit hinter dem Selbstbild von Kunstschaffenden nachhinkt, die zwar nach dem Prinzip der Sinnstiftung agieren, dies aber mit dem Ziel gesellschaftlicher Weiterentwicklung und Veränderung. Ein Agieren, das längst den Elfenbeinturm verlassen hat und kulturelle Produktion mit kreativwirtschaftlichem Unternehmertum selbstverständlich vereint.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wich das pathografische Interesse am Genie einer seriösen (hirn)wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Heute, in der modernen Kreativitätsforschung, geht man davon aus, dass grundsätzlich jeder Mensch kreativ ist, gesellschaftlich bedingte Hemmfaktoren in unserer Erziehung und Ausbildung einem Ausleben aber entgegenwirken.

In der Wirtschaft sind Standardisierung und komplexe hierarchische Strukturen der größte Feind von Kreativität. Auch wenn in Krisenzeiten der Druck nach Veränderung und Innovation wächst, ist das Unberechenbare schwer in Abläufe und Strukturen von Wirtschaftsbetrieben einzugliedern. Zudem wird Kreativität als Eigenschaft individuellen Personen zugeordnet - dass und wie eine Organisation kreativ sein kann, ist schwer zu fassen. Der Vision, dass Kreativität der Schlüssel zur Lösung unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme sein kann, liegt ein gegenwärtig zu beobachtender Wertewandel zugrunde, den der amerikanische Ökonom Richard Florida als den Wandel vom protestantischen zum kreativen Ethos beschreibt.

Kreativität äußert sich in einem offenen Geist, einem steten Hinterfragen und Reflektieren, in ungewöhnlichen Denk- und Handlungsweisen, die abseits erprobter Wege sich stets auf neues Terrain wagen, scheinbar Unzusammenhängendes neu verbinden. Nur in der Kooperation mit Kreativen kann dieses Denken und Handeln zu gesellschaftlicher Veränderung und Weiterentwicklung führen.

Dazu bedarf es des Loslassens traditioneller Rollenbilder und Strukturen, der Vermittlung und Sichtbarmachung der Arbeitsweise Kreativer sowie eines interdisziplinären Agierens auf allen Ebenen der Gesellschaft und Wirtschaft. (Doris Rothauer, STANDARD, 25./26.8.2012)