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Simon Rattle dirigierte die Berliner Philharmoniker und ließ die Schwärze von Witold Lutoslawskis Symphonie vermissen.

Foto: EPA/JAVIER DEL REAL

Salzburg - Gegen Ende der Festspielzeit kommen, meist zu den ersten kühleren Tagen, die Berliner Philharmoniker nach Salzburg. Da freut man sich drauf. Präsentieren sich die Wiener Philharmoniker nach einem strapaziösen Salzburger Sommer zu diesem Zeitpunkt mitunter schon etwas mürbe, reisen die Berliner aus den Orchesterferien zur Stippvisite ins Hoheitsgebiet ihrer Wiener Namenskollegen an und bringen zum Finale noch einmal frischen Wind ins Festspielgeschehen.

Doch auch den Wienern wohnen kraft ihres Gründervaters Otto Nicolai preußische Tugenden inne, und so war bei ihrem fünften Konzert unter der Leitung Bernard Haitinks nicht die geringste Spur einer Ermüdung zu bemerken - was umso erstaunlicher war, da die Proben dafür parallel zu den enorm strapaziösen Aufführungen der "Soldaten" stattfanden. Gut, vielleicht waren Beethovens viertes Klavierkonzert, von Murray Perahia in geradezu beängstigend wohldosierter Perfektion interpretiert, und Bruckners Neunte auch eine Art ersehnter Harmonietherapie nach Zimmermanns inflationär exzessiven Klanggewalten.

Jedenfalls war die Neunte unfassbar beeindruckend. Die Blechbläser fest und edel wie Salzburger Marmor: Wenn man für die Posaunen des Jüngsten Gerichts zum Probespiel lädt, sollten allerhöchste Stellen die Wiener berücksichtigen. Die Streicher organisch-kraftvoll, sanft wiegend wie der Donaustrom. Einfach unnachahmlich diese ideale Wiener Melange aus Selbstverständlichkeit, Präzision und Verve. Gut: Den dritten Satz buchstabierte Haitink so sehr durch, dass bei Teilen der Hörner fallweise das Ende des Atems vor jenem der Note eintrat. Schade auch, dass die nüchtern-helle Akustik des Großen Festspielhauses das Surplus eines noch mystischeren, berauschenderen Klangerlebnisses verweigerte.

Unantastbar versus sportlich

Umgibt den gemeinen Wiener Philharmoniker die Aura einer unantastbaren, teilanonymen Institution, so hat man bei den Berlinern den Eindruck von ganz normalen Menschen, die auf höchstem Niveau musizieren. Sie tun dies grundsätzlich einen Tick sportlicher, beweglicher, mit mehr Eigeninitiative als die Wiener - sei es ihrem Wesen oder der federnden Dynamik ihres Chefdirigenten geschuldet. Diese unerhört fitte, dynamische Spielweise kann beeindrucken, mit ihrer Nähe zum Hochleistungssportlichen jedoch auch ermüden.

Mit musterknabenhafter Präzision und Virtuosität spielten die Berliner denn auch Witold Lutoslawskis dritte Symphonie nach, wenn Rattle auch die Dämonie, die Schärfe, die Schwärze dieses Meisterwerks nicht zur Gänze herauszustreichen verstand. Aber vielleicht wollte er dies auch gar nicht - hätte er sonst allen bestürzenden Eindruck des Werks mit einer unnützen, unpassenden Klimbim-Zugabe (Dvorák: "Slawischer Tanz") lächelnd zunichte gemacht? Schrecklich.

Einfach fantastisch hingegen zuvor Yefim Bronfman mit dem zweiten Klavierkonzert von Johannes Brahms. Als Spezialist für Schlachtrösser mit einer mächtigen Pranke gesegnet, ließ der US-Amerikaner usbekischer Herkunft aber auch in delikaten Passagen des Großwerks Wunder an Fili granität und Zartheit miterleben. Alte Schule, souverän und wundervoll. Würde höchstwahrscheinlich auch sehr gut mit den Wiener Philharmonikern harmonieren. (Stefan Ender, DER STANDARD, 28.8.2012)