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In der früheren Erziehungsanstalt St. Martin in Schwaz in Tirol sollen Mädchen zwangsweise für das Bundesheer gearbeitet haben. Auch Vorwürfe sexueller Gewalt durch Soldaten wurden laut.

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Bregenz / Wien - Bis in die 1990er-Jahre mussten Jugendliche in Heimen unbezahlte Arbeit leisten. Heimleitungen bezeichneten die Zwangsarbeit als pädagogische Maßnahme oder Arbeitstherapie. Damit umgingen sie, auftraggebende Firmen, Institutionen und Private, die Sozialversicherungspflicht. Wie damals sehen die Betroffenen auch heute keinen Groschen für diese Arbeit, denn sie haben für die Zeit der Heimarbeit keinen Pensionsanspruch.

Die "legale Umgehung der Sozialversicherungspflicht" durch private und staatliche Unternehmen (Kasernen, Krankenhäuser) hat der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber bereits 2010 in seinem Buch Im Namen der Ordnung beschrieben und im Interview mit dem Standard wiederholt. Firmen wie Darbo, Swarovski oder Eglo bekannten sich erst durch jüngste Berichte Betroffener zur früheren Praxis, leisten teilweise Entschädigungen. Oberösterreich übernimmt Pensionsbeiträge, nicht so der Bund.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer sieht dazu keine Verpflichtung. Es würden nur neue Ungerechtigkeiten geschaffen, weil ja einige Betroffene bereits aus Entschädigungszahlungen (der Länder) Pensionszeiten gekauft hätten. Diesen Menschen gegenüber wäre es ungerecht, würde der Bund nun für andere die Pensionsbeiträge übernehmen, sagte Hundstorfer am Montag im ORF-Mittagsjournal.

Historiker Schreiber, selbst als Mitglied der Opferschutzkommission Innsbruck immer wieder mit Schicksalen von Betroffenen konfrontiert, kann dieser Argumentation nichts abgewinnen: "Ungerecht ist, dass der Bund als Gesetzgeber über Jahrzehnte Zwangsarbeit und die Umgehung der Sozialversicherungspflicht ermöglicht hat." Der Bund habe ja die Rahmenbedingungen für die Heime geschaffen. Schreiber: "Wenn man selbst die Gesetze macht, kann man sich nicht aus der Verantwortung nehmen."

Hundstorfer solle sich der Verantwortung stellen, fordert auch das BZÖ. Arbeitnehmersprecher Sigisbert Dolinschek: "Bei diesem Abgabenbetrug und Diebstahl von Pensionszeiten darf ein Sozialminister nicht tatenlos zusehen." Wer durch Zwangsarbeit Vorteile genossen haben, müsse die fälligen Sozialabgaben nachzahlen.

Bund mauert

Betroffene stoßen bei der Bundesregierung immer wieder auf Mauern. Wie der Steirer Wolfgang Hoffmann, der seine Erfahrung in Bundesheimen in seinem Buch Internatsgeschichten beschrieben hat. Bei seinen Entschädigungsforderungen wurde er mit Unzuständigkeiten konfrontiert, die Finanzprokuratur argumentierte mit Verjährung. Wer von den involvierten Ministerien (Unterricht, Justiz, Landwirtschaft) wirklich zuständig ist, ist unklar.

Der Bund müsse endlich handeln, fordert Horst Schreiber. Entschädigungsforderungen für Bundeserziehungsanstalten würden immer noch nicht anerkannt. In Wiener Neudorf oder Kaiser-Ebersdorf hätten brutalste Zustände geherrscht. "Diese Heime waren für Jugendliche die absolute Endstation."

Die Opfer, viele davon wegen ihrer Kindheitstraumata in Früh- oder Invaliditätspension, seien mit Kompetenzwirrwarr konfrontiert. "Die Leute wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Wohin soll denn einer aus Vorarlberg gehen, der in einem Tiroler Heim war?" In manchen Ländern, Schreiber nennt Tirol als Beispiel, herrsche zudem "Kommissionitis". Zum Thema Zwangsarbeit wurde neben den bestehenden Gremien eine weitere Kommission geschaffen. Schreiber: "Weiterer Wirrwarr ist damit programmiert." Es sei an der Zeit, dass der Bund gemeinsam mit den zuständigen Landespolitikern eine einheitliche Vorgangsweise zu Entschädigungszahlungen und zur Informationspolitik entwickle. Schreiber: "Die Koordination soll der Bund übernehmen." (Jutta Berger, DER STANDARD, 28.8.2012)