Jutta Ambrositsch ist glücklich als Winzerin - mit Tieren würde sie keine Landwirtschaft machen wollen, sagte sie Minister Nikolaus Berlakovich.

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STANDARD: Herr Bundesminister, wie war der Urlaub?

Nikolaus Berlakovich: Der Urlaub war hochinteressant, weil ich das Geburtstagsgeschenk meines Büros einlösen konnte, bei Grabungen in Ephesos mitzutun. Ich hatte ja überlegt, Archäologie zu studieren, und mich dann aber doch für die Landwirtschaft entschieden. Aber die Archäologie fasziniert mich bis heute, nämlich dass im Lauf der Jahrtausende immer wieder Menschen Kulturen aufgebaut haben, versucht haben, das tägliche Leben zu ordnen, kulturelle Dinge entwickelt haben und dann untergegangen sind. In Wahrheit wiederholt sich die Geschichte.

STANDARD: Sind wir jetzt so weit? In Ephesos kann man die griechische Kultur, die untergegangen ist, sehen - steht die europäische Kultur mit dem Euro auf der Kippe?

Berlakovich: Ja, ich glaube schon. Nicht so sehr wegen des Euro, sondern in der Frage: Wie kann die österreichische, die europäische Gesellschaft begeistert werden? Wofür kann sie begeistert werden? Wohin entwickeln wir uns? Eine Gesellschaft braucht Begeisterungsfähigkeit, dass sie motiviert werden kann für Visionen.

Jutta Ambrositsch: Ich finde das spannend, denn ich wollte nämlich Paläontologie studieren, weil meine Eltern im Südburgenland leben, neben einem Steinbruch. Da wurde einmal ein Mammutzahn gefunden, und der liegt heute im Naturhistorischen Museum.

Berlakovich: Da haben wir ja viel gemeinsam: Im mittleren Burgenland gibt's Sandgruben, wo auch immer wieder Haifischzähne gefunden werden. So kann man erkennen, dass nicht nur Kulturen verschwinden, sondern auch Tiere, Pflanzengattungen neu entstehen, In Wahrheit ist die Natur immer stärker.

STANDARD: Die Natur kommt wohl eines Tages ohne Menschen aus - das ist aber wohl kein Ziel für einen Umweltpolitiker?

Berlakovich: Nein, aber ich sehe das durchaus im christlichen Sinn, dass man sich die Erde untertan machen soll - ohne sie zu zerstören. So wie wir das in der Landwirtschaft als Schöpfungsverantwortung verstehen, dass man alles kommenden Generationen wieder weitergibt.

Ambrositsch: Ich denke, dass es nicht so sehr um Verantwortung geht, sondern vor allem um Respekt. In der Tierhaltung ist dieser respektlose, würdelose Umgang halt schon sehr heftig. Das unterscheidet sicher die Landwirtschaft mit Tieren vom Weinbau, weil man halt nie unmittelbar mit diesem Leid konfrontiert ist. Bei uns im kleinen Dorf gibt es einen Betrieb, wenn man da in den Schweinestall reingeht, möchte man sich danach eigentlich umbringen.

STANDARD: Was ist da so grauslich?

Ambrositsch: Man geht mal vorbei an einer Reihe von Medikamenten, und dann sind da diese kleinen Ferkelchen, die Mütter liegen in irgendwelchen Käfigen, die sehen nie Tageslicht, es geht nur um Gewinnmaximierung. Wenn ein Ferkel zur Welt kommt und das steckt irgendwie blöd - bevor der Bauer den Tierarzt ruft, weil das ist eh nur a Sau, fährt er einmal mit irgendeinem Metallhaken rein und zieht es raus. Das sind grauenhafte Zustände, das ist Alltag.

STANDARD: Sie selber sind Landwirtin, kommen aber eigentlich aus einem ganz anderen Bereich. Wie kommt man von der Werbung in die Landwirtschaft?

Ambrositsch: Ich hatte das dringende Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu machen. Ich bin auch geprägt durch meine Vergangenheit: aufgewachsen in einer Forstwirtschaft, in der immer sehr sorgsam mit Land umgegangen wurde.

STANDARD: Und Sie sind auch Vegetarierin?

Ambrositsch: Ja, ich bin Vegetarierin seit 26 Jahren, da wird man in der Landwirtschaft manchmal schräg angeschaut. Das einzige Fleisch, das ich essen würde, ist Wild. Weil das bis zu dem Moment, wo es peng macht, ein fantastisches Leben hat. Um Leben und Tod geht's in der gesamten Landwirtschaft, und dessen muss man sich immer sehr bewusst sein.

Berlakovich: Am Thema Tierleid misst man den Grad der Entwicklung einer Gesellschaft. Wobei der Bauern selber weiß: Wenn er sein Tier schlecht behandelt, bringt es keine Leistung. Wir befinden uns allerdings im Spannungsfeld von freien Märkten: Wenn wir noch höhere Standards im Tierschutz umsetzen wollen, muss man auch berücksichtigen, dass die europäische Konkurrenz diese Standards auch weiterträgt. Bei der Käfighaltung von Legehennen hat Österreich 2009 umgestellt, die EU hat 2012 vorgegeben, und jetzt haben immer noch ein paar Länder nicht umgestellt. Das ist alles ein zähes Ringen, weil sich der Markt und die Tierhaltung leider weltweit in Richtung Massentierhaltung entwickeln.

STANDARD: Als frommer Anhänger der Marktwirtschaft müsste man sagen: Das regelt der Markt, die Menschen wollen ja kein Tierleid. Wie sieht der Markt tatsächlich aus?

Berlakovich: Der fromme Glaube ist eine Sache, die Realität ist dann eine andere: dass sehr wohl der Preis entscheidet. Der Preisdruck auf die Landwirtschaft ist gewaltig.

Ambrositsch: Ich glaube, es muss das Verhalten des Konsumenten verändert werden. Wenn's normal ist, das man in der Früh anfängt mit irgendeiner eingeschweißten Wurst aus einem Packerl, und dann gibt's zu Mittag Fleisch und am Abend wieder, dann muss an den Gewohnheiten gearbeitet werden. Es ist ja interessant, dass sich sehr viele Menschen für Landwirtschaft interessieren - und Quereinsteiger sich dieser Verantwortung bewusst sind.

STANDARD: Das kann aber auch danebengehen: Vor 25 Jahren haben alle gesagt: Weg mit den Milchpackerln, wir wollen wieder Milchflaschen! Die Molkereiwirtschaft hat viel investiert in neue Flaschenabfüllungen - aber die Flaschenmilch ist ein Flop geworden. Wer hat versagt?

Berlakovich: Letztendlich handelt der Konsument und entscheidet der Konsument, was Sache ist. Daher bin ich ganz Ihrer Meinung, dass hier der Konsument aufgeklärt werden muss.

STANDARD: Wobei ja die größten Einkäufer in Wirklichkeit die Industriebetriebe sind. Die meisten Eier, auch Butter und Fleisch, werden ja nicht am Frühstückstisch gegessen, sondern gehen in industrielle Produktion hinein.

Berlakovich: Aber auch dort wird umgedacht: McDonald's Österreich hat umgestellt auf 100 Prozent österreichische Eier mit AMA-Gütesiegel, weil dort die Konsumenten kritischer waren und eben nicht zufrieden waren mit einem namenlosen Ei. In der industriellen Verarbeitung bemühen wir uns österreichischerseits, dass wir auch eine aussagekräftige Lebensmittelkennzeichnung erreichen. Das verhandeln die Gesundheitsminister auf der europäischen Ebene, und da ist der Widerstand gewaltig, weil die Wirtschaftsinteressen, die industriellen Interessen auf europäischer Ebene riesig sind. Allerdings haben wir erreicht, dass der Analogkäse oder der Schummelschinken oder der Pseudokäse jetzt deklariert werden müssen.

STANDARD: Steht da jetzt wirklich "Analogkäse" drauf?

Berlakovich: Es darf jedenfalls nicht "Käse" draufstehen.

STANDARD: Ist bessere Qualität erlebbar? Sie machen Weine, für die man einen höheren Preis verlangen kann, weil's schmeckbar ist.

Ambrositsch: Und auch verlangen muss. Weil ich Landwirtschaft in der Stadt mache, da sind die landwirtschaftlichen Flächen aufgeteilt unter ein paar großen Betrieben. Für Kleinstproduzenten wie mich wird es immer schwieriger, Fläche zu bekommen. Für mich macht es keinen Sinn, etwas zu machen was große Betriebe ums halbe Geld machen können. Aus der Werbung kommend weiß ich, dass es nicht nur darum geht, irgendeinem Produkt ein schönes Etikett zu machen, das ist einfach zu wenig.

STANDARD: Im Kontrast zu unserer Genuss-Diskussion gibt es derzeit eine Debatte über E10, über Agrarsprit. Darüber, dass man letztlich Brot in den Tank tut. Treibt das die Preise?

Berlakovich: Ich appelliere dringend an alle, eine sachliche Diskussion zu führen. E10 ist eine Klimaschutzmaßnahme. Das, was wir jetzt in Österreich verhandeln, ist die Umsetzung einer Strategie, zu der wir uns in Europa entschlossen haben. Europa hat gesagt: Bis 2020 soll der Anteil der Alternativenergie im Verkehrsbereich auf zehn Prozent angehoben werden, es soll auch die Kraftstoffqualität verändert werden. Klar ist, dass die fossilen Energieträger für den Klimawandel verantwortlich sind. Klar ist auch, dass da die Industrie kein Interesse hat, weniger Öl zu verkaufen, weil das einfach Geschäft ist.

Aber man muss die Fakten sehen: Weltweit werden drei Prozent der Ackerfläche für Biotreibstoffe verwendet. Bei uns in Österreich gehen von fünf Millionen Tonnen Getreide und Mais nur 18 Prozent, rund eine Million Tonnen, in die menschliche Ernährung. 50 Prozent der Getreideernte wird für die Viehfütterung verwendet. 30 Prozent wird jetzt schon industriell verarbeitet. Wir sind zum Beispiel der weltgrößte Zitronensäurehersteller aus Mais. Es ist ein Unsinn, dass der Hunger in der Welt durch E10 verschärft wird. Das passiert durch die Spekulation. Auf der Chicagoer Börse wird die 80-fache Menge vom Weltgetreide gehandelt, rein spekulativ, reine Zockerei ...

STANDARD: Fahren Sie Auto? Tanken Sie Biotreibstoffe?

Ambrositsch: Ich fahre Auto, aber ich habe mir über Biosprit auch wenig Gedanken gemacht. Aus ethischer Sicht finde ich es bedenklich.

STANDARD: Sind denn fossile Treibstoffe ethischer produziert?

Ambrositsch: Keinesfalls. Das ist wieder die Macht der Gewohnheit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es so war oder dass es so ist.

Berlakovich: Wir importieren über tausende Kilometer Öl aus Krisenregionen. Öl ist für den Klimawandel verantwortlich. Daher müssen wir vom Öl wegkommen.

STANDARD: Wann wird's E10 geben?

Berlakovich: Sobald wir uns mit dem Koalitionspartner einigen.

STANDARD: Aus der eigenen Partei gab's ja da auch sehr kritische Dinge, mit denen Sie sich auseinandersetzen mussten?

Berlakovich: Um das klar festzuhalten: Die ÖVP steht zu diesem Weg. Wir haben uns in der Europäischen Union darauf verständigt, dass wir diese Kraftstoffrichtlinien umsetzen, und dazu steht die ÖVP, eindeutig. Von Michael Spindelegger angefangen über Reinhold Mitterlehner bis zu Maria Fekter, wir stehen dazu. Dass der eine oder andere auch den Aspekt der Industrie in seine Überlegungen einbezieht, das ist eine zweite Sache. Aber wir stehen dazu. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 28.8.2012)