Für mich als offiziellen Evaluator der Ethikschulversuche, 1999 dafür von Bundesministerin Elisabeth Gehrer beauftragt, ist es erfreulich, dass Ethikunterricht wieder einmal diskutiert wird (derStandard.at hat berichtet, dass Claudia Schmied bis zum Jahresende ein Konzept für einen Ethikunterricht vorlegen will).

Genug Schulversuche

Der Evaluationsbericht wurde 2001 präsentiert und empfahl, weil dieser Unterricht nachweislich ethische Einstellungen der SchülerInnen wünschenswert verändern kann (weniger Fremdenfeindlichkeit, weniger Relativismus), dessen Übernahme ins Regelschulwesen, als alternatives Pflichtfach und nicht als Ersatzgegenstand. Die folgenden Jahre geschah wenig. Aber im Mai 2011 fand die Parlamentarische Enquete über Ethikunterricht statt, mit dem einhelligen Konsens: 14 Jahre Schulversuch: Genug!

Ethik betrifft alle

Nun fordert Unterrichtsministerin Claudia Schmied Ethikunterricht für alle. Nur zu verständlich. Ethik betrifft alle, ethische Maximen müssen verallgemeinerbar sein. Und dass mehr Ethik vonnöten ist, merkten auch politische Parteien, die ethische Standards formulierten.

Am konfessionellen Religionsunterricht will die Ministerin nichts ändern. Auch das ist verständlich angesichts der Tradition und Macht der Kirche, die sich dem Ethikunterricht lange widersetzte. Wenn Ethikunterricht, dann als zusätzliches Fach. Verständlich, dass Familien- und Schülerverbände Mehrbelastungen befürchten, von den Kosten ganz zu schweigen!

Dem Obmann der Schülerunion Daniel Perschy ist recht zu geben: "Der momentane Religionsunterricht ist schon lange kein rein konfessioneller mehr." Auch Kirchenvertreter wie der Salzburger Weihbischof Laun sehen dies so. In der Tat: Unsere Befragungen von ReligionslehrerInnen zeigten, dass diese primär die Mündigkeit ihrer SchülerInnen anzielen, ethische Kompetenz, religionskundliches Wissen - und nur noch zu 29 Prozent, dass sie die Glaubenslehre der katholischen Kirche kennenlernen, unter deren Image viele leiden. Dass sie Andersgläubige tolerieren lernen, unterstützen 91 Prozent stark.

Ethik und Religionskunde

Die naheliegende Konsequenz ist ebenso redlich, kostengünstig und pädagogisch wünschenswert: Zumindest in der Oberstufe ein Fach "Ethik und Religionskunde", verpflichtend für alle, idealiter konzipiert vom Staat in ökumenischer Kooperation mit den Religionsgemeinschaften.

  • Redlich wäre diese Lösung, weil faktischer Religionsunterricht in der Oberstufe von Ethikunterricht, wie empirisch untersucht, kaum mehr zu unterscheiden ist.
  • Kostengünstiger, weil nur noch eine Lehrkraft zu remunerieren wäre.
  • Wünschenswert: Weil in einem gemeinsamen Unterricht über Ethik und Religionen eher gewährleistet ist, dass Schülerinnen gemeinsame ethische Maximen erarbeiten können (bspw. Weltethos) und zugleich ihre eigene religiöse Identität konturieren können, in der dialogischen Begegnung mit anderen Traditionen (wie in Studien zu interreligiösem Unterricht mehrfach nachgewiesen).

Ein solches Fach erarbeiteten - in Kooperation von staatlichen Stellen und Religionsgemeinschaften - die katholischen Kantone der Innerschweiz. Warum sollte das in Österreich nicht auch möglich sein, einem der letzten Länder der EU, das den Ethikunterricht noch nicht bundesweit geregelt hat?

Worum es an staatlichen Schulen letztlich gehen muss: Um die ethische Bildung aller SchülerInnen, und weniger um die Interessen von Religionsgemeinschaften. (Anton Bucher, derStandard.at, 29.8.2012)