Innsbruck - Der Tiroler Erwin Aschenwald fühlt sich vom Jugendamt um seinen Vater betrogen. Aschenwald wuchs vaterlos auf, musste zehn Jahre in Tiroler Heimen verbringen. Die Suche nach dem Vater hatte am Dienstag um 8.30 Uhr auf dem Innsbrucker Westfriedhof ihren vorläufigen Höhepunkt: Auf Anordnung des Bezirksgerichts Innsbruck wurde das Grab von Irwin Lichtenstein, des 1991 verstorbenen mutmaßlichen Vaters, zur DNA-Entnahme geöffnet.

Aschenwalds Mutter hatte bereits 1962, kurz nach seiner Geburt, die Feststellung der Vaterschaft beantragt. Bezirksgericht und Amtsvormund "verschlampten" den Antrag, ist Aschenwald überzeugt. Als Achtjährigen steckte ihn das Jugendamt in die berüchtigte "Bubenburg", das Heim der Kapuziner in Fügen. Seiner Mutter wurde von der Behörde eine schwere psychische Erkrankung attestiert, sie wurde für zwei Jahre in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie Hall gebracht.

2010, als er beim Standesamt sein Aufgebot bestellte, wurde Erwin Aschenwald mit Unklarheiten in der Frage der Vaterschaft konfrontiert. Er erfuhr, dass die Behörde Lichtensteins Vaterschaft nie geprüft hatte.

Komplizierte Vatersuche

Nun stellte Aschenwald einen Feststellungsantrag. Was die Sache kompliziert machte: Lichtenstein war Jude, seine amerikanischen Angehörigen verweigerten eine DNA-Analyse und sprachen sich aus Glaubensgründen (bei Juden gilt die Totenruhe ewig) gegen eine Exhumierung aus.

Das Bezirksgericht Innsbruck berief sich jedoch auf die Europäische Menschenrechtskonvention, stellte Recht über Ritus und ordnete die Graböffnung an: Zur Entwicklung einer Person gehöre das Recht, notwendige Informationen über wesentliche Aspekte der eigenen Identität und der ihrer Eltern zu erhalten. Jedermann habe ein geschütztes Interesse daran, Auskünfte zu erhalten, die notwendig sind, die Kindheit und frühe Entwicklung zu verstehen. Zwei Jahre nach Antragstellung wurden am Dienstag die Gewebeproben entnommen. "Sachte und pietätvoll" sei der Gerichtsmediziner vorgegangen, sagt Amtsarzt Ber Neumann, der die Exhumierung auch als Vertreter der Kultusgemeinde beobachtete: "Damit kann man auch als religiöser Mensch leben."

Durch einen DNA-Vergleich wird in Kürze feststehen, ob Irwin der Vater von Erwin war. Sollte er einen US-Bürger zum Vater haben, könnte ihm das neue rechtliche Möglichkeiten in seinen Auseinandersetzungen um Entschädigungen als Heimkind eröffnen, hofft Aschenwald. (Jutta Berger, DER STANDARD, 29.8.2012)