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Erziehungswissenschafter der Uni Graz untersuchen die Tiefenstruktur der Lehrer-Schüler-Kommunikation.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Lehrer und Schauspieler haben etwas gemeinsam, meint Bernd Hackl: "In beiden Berufen ist der eigene Körper ein zentrales Arbeitsinstrument", sagt der Professor für Schulpädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Graz und erklärt: "Gestik, Mimik, Stimme, physische Erscheinung usw. werden als Medien der Kontaktaufnahme zum Publikum bzw. zu den Schülern eingesetzt."

Allerdings kann diese körperliche Kommunikation nicht beliebig gesteuert werden. Die Kunst eines guten Schauspielers bestehe deshalb in der Fähigkeit, sich mental in eine bestimmte Situation zu versetzen und aus der heraus quasi "natürlich" zu agieren. Bewusst gesteuerte Gesten, Körperhaltungen etc. werden dagegen unweigerlich als unstimmig und unecht erkannt. Im Theater ebenso wie im Klassenraum.

Widersprüchliches System

Ein spezielles Problem beim Unterrichten ist in diesem Zusammenhang, dass es im sehr widersprüchlichen System Schule stattfindet. Einerseits sollen die Kinder motiviert, emotional angesprochen und "dort abgeholt werden, wo sie sind", andererseits werden die Lehrziele immer präziser vorgegeben und damit der Spielraum für die Lehrenden zunehmend beschnitten. "Das führt die Lehrer in ein Dilemma", sagt Hackl. "Sie sollen zwei unterschiedlichen Anforderungen genügen, die gleichzeitig nicht zu erfüllen sind. Also müssen sie sich irgendwie durchjonglieren." Häufig führt dieser Versuch, das Unvereinbare zu verbinden, zum Auseinanderdriften von verbalem und körperlichem Ausdruck. Wobei die physische Kommunikation insofern oft die "ehrlichere" ist, als man über sie nur sehr bedingt bewusst verfügen kann.

Jede Sekunde analysiert

Was aber passiert im Klassenzimmer, wenn der körperliche und der sprachliche Ausdruck des Lehrenden auseinanderklaffen? In einem vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Projekt haben Bernd Hackl und seine Mitarbeiterin Sandra Hummel Unterrichtssituationen in verschiedenen Schulstufen mit Video aufgezeichnet und Sekunde für Sekunde analysiert.

So lässt sich anhand einer dieser Fallstudien mithilfe der "Methode der objektiven Hermeneutik" etwa sehr anschaulich demonstrieren, wie in einer durchschnittlichen Schulsituation durch das Auseinanderdriften von Gesagtem und Körpersprache die Kommunikation zwischen Lehrerin und Schülern auf eine Weise beeinflusst wird, dass sich beide Seiten schließlich genervt und frustriert (innerlich) voneinander abwenden.

Allerdings zeigt sich hier die Körpersprache als die "unehrlichere" Kommunikationsform. Konkret: Am letzten Schultag vor den Osterferien versucht die Englischlehrerin ihre halbwüchsigen Schüler zu motivieren, indem sie die bevorstehende (ganz gewöhnliche) Lektion als besonders spannend anpreist - und zwar vor allem mittels Gestik, Mimik und Körperhaltung, die an jene eines Märchenerzählers vor einem kindlichen Publikum erinnern.

Die Schüler spüren den Widerspruch und testen die Lehrerin durch einen etwas frechen Zwischenruf. ("Zeichnen wir Ostereier?"). Sie reagieren auf den unpassenden "Verkaufstrick" in der Folge mit passivem Widerstand. Die Lehrerin führt daraufhin die Stunde ohne weitere Motivationsversuche fort und stellt auf "business as usual" um.

"Kinder durchschauen meist sehr schnell, wenn man ihnen etwas zu verkaufen versucht, das sie nicht wollen", resümiert Hackl nach genauer Analyse der Videosequenz. "Das heißt nicht, dass sie sich in diesem Fall grundsätzlich nicht dafür interessierten, was ihnen die Lehrerin zu sagen hat - aber sie zeigen ihr, dass sie sie durchschaut haben."

Unbewusste Reaktion

Eine Reaktion, die den Schülern selbst in der aktuellen Situation meist nicht bewusst wird. "All diese Vorgänge spielen sich innerhalb weniger Sekunden ab. Sie werden zwar wahrgenommen, sind jedoch nicht unbedingt bewusstseinspflichtig", erklärt Hummel. "Gleichzeitig beeinflussen sie aber langfristig die emotionalen Einstellungen der Schüler zum Lehrer, zum Unterricht, ja zur Schule überhaupt."

Gleiches passiert bei den Lehrern. Diese haben oft das Gefühl, gegen einen permanenten Widerstand zu arbeiten, ohne genau zu wissen, worin er besteht und wo er seinen Ausgang genommen hat. Mithilfe der aktuellen Mikroanalysen lässt sich nun Schritt für Schritt, Sekunde für Sekunde rekonstruieren, wie solche Prozesse entstehen. "Uns geht es vor allem um Grundlagenforschung", betont Hackl. Bislang gibt es nämlich zur körperlichen Kommunikation im Unterricht so gut wie keine Forschung. "Es liegen zwar massenhaft psychologische Studien vor, aber das Spezifische der Körpersprache im Unterricht wurde dabei kaum berücksichtigt. Wir erarbeiten nun erstmals das 'Grundvokabular' der didaktischen Körpersprache."

Ungekünstelt wirken

Was können Lehrende also tun, damit es beispielsweise nicht zur Entkoppelung von körperlichem und verbalem Verhalten kommt? "Es gibt hier nicht die richtige Lösung oder die optimale körpersprachliche Verhaltensweise", sind sich die beiden Forscher einig. Bücher über Körpersprache im Unterricht neigen oft dazu, "das Vokabular sehr eng zu formalisieren". Tatsächlich aber kann eine bestimmte Geste je nach Kontext mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen besetzt sein. Verschränkte Arme zum Beispiel können eine Barriere signalisieren. "In manchen Situationen aber stimmt das überhaupt nicht", sagt Hackl. "Wenn diese gestische 'Barriere' etwa von einem interessierten Blick oder einem vorgeneigten Oberkörper begleitet wird, kann von ihr auch ein ganz anderes Signal ausgehen."

Wer sich zu strikt an Körperspracheratgebern orientiert, wird auf seine Umwelt eher gekünstelt wirken. "Da Körpersprache intuitiv funktioniert, kann man sie nicht über das Bewusstsein steuern", sagt Hackl. "Wer das versucht, wird das 'Tausendfüßlersyndrom' kennenlernen - wenn der darüber nachdenkt, wann er welches seiner Beine bewegen soll, kann er überhaupt nicht mehr gehen."

Was sich Lehrer aber immer bewusst machen sollten, sei die Tatsache, dass sich ihre augenblickliche Verfasstheit unwillkürlich über ihren Körper ausdrückt. Es mache daher keinen Sinn, Ärger, Ungeduld oder schlechte Laune hinter einem scheinbar freundlichen Lächeln zu verbergen. "Hilfreicher als Körpersprachelexika ist deshalb eine Resensibilisierung der Lehrenden für körperliche Informationen. Im Gegensatz zu den Kindern, die dafür noch viel empfänglicher sind, müssen Erwachsene die Sprache des Körpers erst wieder lernen."

Aufwärmübungen

Ziel einer entsprechenden Lehreraus- und -weiterbildung sollte deshalb eine Art "Lesetraining" für Körpersprache im Klassenzimmer sein. Die Aufwärmübung dazu ist ebenso einfach wie effektiv: Die Teilnehmenden werden in zwei Gruppen geteilt, wovon die eine fünf Minuten lang mit hängenden Schultern und gesenktem Blick durch den Raum gehen muss. Die zweite Gruppe dagegen mit herausgestreckter Brust und nach vorne gerichtetem Blick.

"Mit dieser Übung bekommt man sehr schnell ein Gefühl für das enge Verhältnis von körperlichem Zustand und emotionaler Befindlichkeit", sagt Hackl. Denn: "So gut wie alle Probanden der ersten Gruppe kommen in eine depressive Stimmung." (Doris Griesser, DER STANDARD, 29.8.2012)