Kairat Kadyrschanow, Generaldirektor des nationalen Nuklearzentrums von Kasachstan, am alten Atomtestgelände. Der Geigerzähler zeigt normale Werte.

Foto: Standard/Gianluca Wallisch

Die langen, dürren Grasbüschel biegen sich zu Boden, als die Hubschrauberstaffel der kasachischen Streitkräfte unweit von Kurtschatow mitten in der Steppe landet. Auch viel Staub wird aufgewirbelt. Radioaktiver Staub.

"No problem, it is clean", versichert ein junger Uniformierter und zeigt einen Geigerzähler zur Strahlenmessung. Das Display schwankt zwischen 70 und 110 Nanosievert pro Stunde. Diese Strahlenbelastung entspricht jener, die auch im Raum Wien zu verzeichnen ist. In den Alpen steigt sie oft auf den doppelten Wert. "Hier ist es sicher. Es gibt aber Teile des Geländes, da dürfen auch auf Jahre hinaus nur Experten in Schutzkleidung hin."

Sprengkraft von 1000 Hiroshima-Bomben

Hier, das ist das ehemalige sowjetische Atomtestgelände von Semipalatinsk, das heutige Semey, im Osten Kasachstans. In der Steppe wurden zwischen 1949 und 1989 insgesamt 456 Atombombentests durchgeführt. Die summierte Sprengkraft betrug 18 Megatonnen, das entspricht etwa 1000 Hiroshima-Bomben.

Im nördlichen Teil des Sperrgebietes, das mit 18.500 Quadratkilometern etwa dem Bundesland Niederösterreich entspricht, wurden die Tests bis 1962 knapp über oder direkt auf dem Boden durchgeführt. Das führte zu einer massiven Strahlenbelastung der Atmosphäre. Die in der Gegend vorherrschenden Winde trugen die Radioaktivität nach Osten und Norden, tausende Menschen erkrankten und starben an den Folgen. Später wurden die Tests weiter in den Süden und unter die Erde verlegt, diese ist nach wie vor schwer kontaminiert.

Testgelände 1991 geschlossen

"Wenn Sie so wollen, befinden wir uns hier am Ground Zero", erklärt Kairat Kadyrschanow, Generaldirektor des nationalen Nuklearzentrums von Kasachstan, und zeigt mit seinem Gehstock nach Westen. "Einen Kilometer von hier haben die sowjetischen Wissenschafter am 29. August 1949, also vor genau 63 Jahren, ihre erste Atombombe gezündet."

In einiger Entfernung weht eine gelbe Flagge heftig im Steppenwind. Kreisförmig um dieses Epizentrum wurden Haifischflossen-förmige Betonbauten errichtet, Beobachtungsstationen mit Messgeräten. Heute sind sie bereits stark verwittert, die Bausubstanz war offenbar so mangelhaft wie die Sicherheitsvorkehrungen damals ganz allgemein.

Auf den Tag genau 42 Jahre später, am 29. August 1991, ließ Nursultan Nasarbajew, der im Jahr zuvor zum Präsidenten Kasachstans gewählt worden war, das Atomtestgelände schließen. Kasachstan deklarierte an jenem Tag sein Ziel, atomwaffenfrei zu werden. Ein Unterfangen, das man zumindest als engagiert bezeichnen darf, schließlich galt Kasachstan noch als viertgrößte Atommacht der Welt. Heute erklärt die Regierung, man habe das Vorhaben bereits weitgehend abgeschlossen, ohne genaue Zahlen zu nennen.

Brennstoffbank geplant

Der zivilen Kernenergie hat Kasachstan dagegen nicht abgeschworen. Bisher hat das Land selbst noch keine Atomkraftwerke in Betrieb genommen, doch bereits nächstes Jahr soll eine "Bank für nukleare Brennstoffe" eingerichtet werden. Idee dahinter ist es, unter Regie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien Brennstäbe zu lagern und an Länder zu liefern, die selbst keine technischen Mittel dazu haben. "In Kasachstan hat man gesehen, welche Gefahren von Atomwaffen ausgehen", sagt der britische Lord Desmond Waverly. Auch deshalb erfülle Kasachstan alle Voraussetzungen für eine solches Projekt. (Gianluca Wallisch, DER STANDARD, 30.8.2012)