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Anrainer besetzen einen Teil der Baustelle des umstrittenen Belo-Monte-Staudamms in Brasilien.

Foto: Epa

STANDARD: Sie wollten mit Ihrem Film "Climate Crimes" schauen, ob der Klimaschutz der Natur mehr schadet als der Klimawandel. Ist das so?

Ulrich Eichelmann: Ja. Der Klimaschutz ist nicht nur wahnsinnig unerfolgreich, sondern er ruiniert auch noch das, was er vorgibt zu schützen. Er beschleunigt auch noch die Naturzerstörung und den Rückgang der Artenvielfalt. Wir haben bei unseren Dreharbeiten erlebt, wie gigantisch die Naturvernichtung durch die sogenannten grünen Energieformen wie Wasserkraft, Biodiesel und Biogas ist. Am besten wäre: ein sofortiges Moratorium für alle Agrotreibstoffe; ein sofortiger Baustopp von großen Wasserkraftwerken; und die Biogasförderung komplett abschaffen.

STANDARD: Sie sagen im Film, dass der Balbina-Staudamm in Brasilien mehr Treibhausgase emittiert als ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung. Wie kann das sein?

Eichelmann: Für den Damm wurden 300.000 Hektar Urwald überflutet. Die Bäume sind stehengeblieben und abgestorben. Aus dem Wasser ragt ein riesiges Meer toter Bäume, das CO2 freisetzt, weil es verrottet. Viel schlimmer sind aber noch die Baumstümpfe unter Wasser. Dort entsteht Methan, das ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2. Insgesamt treten dort Gase aus, die den Damm 20-mal klimaschädlicher machen als ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung. Wenn du Klimaschutz betreiben willst, kannst du den Stausee ablassen und ein Kohlekraftwerk hinbauen.

STANDARD: Sind diese Bäume nicht irgendwann alle verrottet?

Eichelmann: Irgendwann schon, aber die Flutung ist jetzt schon 30 Jahre her, und der Ausstoß ist immer noch hoch. Die Stauseen der Welt emittieren deshalb genauso viele klimaschädliche Gase wie der gesamte weltweite Flugverkehr. Derzeit sind 5000 große Dämme in Vorbereitung oder in Bau. Das wird ohne jede Rücksicht vorangetrieben - der Klimaschutz ist dabei ein ganz wesentlicher Punkt.

Dabei sind die Folgen der Dämme tausende Kilometer weit zu spüren. Etwa beim Ilisu-Staudamm in der Türkei: Der Damm wird das gesamte Wasserregime flussabwärts im Irak verändern. Am Tigris sitzen aber sechs Millionen Menschen, die von dem Fluss abhängig sind und die nicht mehr fischen oder ihre Felder bewässern können, wenn der Damm gebaut wird. Es gibt eine Studie von Survival International, wonach 750 Millionen Menschen unter den Folgen von Wasserkraftwerken leiden. Zigtausende Tierarten dürften aussterben, wenn die geplanten Dämme gebaut werden.

STANDARD: Zum Agrosprit: Umweltminister Nikolaus Berlakovich bezeichnet E10 in einem Standard-Interview als "Klimaschutzmaßnahme". Was sagen Sie dazu?

Eichelmann: Wenn der Berlakovich sagt, das ist Klimaschutz, tut er mir schon fast leid. In Borneo etwa werden für E10 Ölpalmen angebaut, dafür werden riesige Flächen Regenwald abgeholzt. Dort haben Sie aber überall Torfböden, in denen Unmengen an CO2 gespeichert sind. Um Palmöl anpflanzen zu können, wird der Torfboden entwässert, das CO2 wird freigesetzt. Deshalb ist Indonesien der drittgrößte Klimasünder der Erde.

Bei uns gibt es das Problem mit dem Biogas. In Deutschland werden pro Jahr zusätzlich 200.000 Hektar Energiemais angebaut. Der Bodenpreis ist wegen der Nachfrage enorm in die Höhe geschnellt, manche Milchbauern in Schleswig-Holstein etwa können sich deswegen ihre Pacht nicht mehr leisten. Die Biogasbauern hingegen haben dank Subventionen auf 20 Jahre garantierte hohe Erträge. Zudem sind Maisfelder eine ökologische Wüste, da ist kein Platz mehr für irgendwelche Tiere. Weil das so stark um sich greift, ist der Rückgang von ganz banalen Tier- und Pflanzenarten enorm. Der Kuckuck ist fast schon weg, die Bestände an Schwalben in Europa sind um 70 Prozent gesunken.

STANDARD: Die EU will Richtlinien für den Anbau von erneuerbaren Energien außerhalb Europas beschließen, die sicherstellen, dass dafür kein Regenwald abgeholzt wird. Wird das helfen?

Eichelmann: Das klingt super, aber es wird nie funktionieren. In Indonesien gibt es ein Moratorium gegen die Abholzung von Regenwald, die machen trotzdem einfach weiter. Genau wie Brasilien gesagt hat, wir schützen unseren Regenwald. Solange so viel Geld im Spiel ist, hält sich niemand daran.

Wir haben für den Film den damaligen brasilianischen Energieminister Marcio Zimmermann interviewt. Er hat uns gesagt: Wir werden Amazonien so nutzen, wie Frankreich das mit seinem Land macht, wir werden es bewirtschaften und einige Nationalparks erhalten. Wenn die aber nur die Staudämme bauen, die jetzt geplant sind, werden zehn Prozent aller bekannten Süßwasserfischarten der Welt aussterben. Die sind dann ein Opfer des Klimaschutzes. (Tobias Müller, DER STANDARD, 30.8.2012)