Eine Rakete des SA-5-Systems.

Foto: Łukasz Golowanow/Wikimedia (cc)

Altbewährt: Schon die afghanischen Mujahedeen wussten um die Vorteile der tragbaren SA-7-Raketensysteme in den 80er Jahren.

Foto: U.S. Department of Defense

"Gott ist groß, Gott ist groß, Gott ist groß" - der Jubel auf dem Video ist unüberhörbar. Es wurde am 27. August aufgenommen und zeigt den Absturz eines Hubschraubers der syrischen Armee in einem Vorort von Damaskus.

Es war bereits der dritte bestätigte Absturz eines Fluggeräts der syrischen Streitkräfte innerhalb von drei Wochen. Schon Mitte August stürzte in Dayr az-Zawr im Nordosten des Landes ein Jet ab. Am Donnerstag veröffentlichte der Fernsehsender Al-Arabiya ein Video, das erneut den Absturz einer syrischen Maschine zeigen soll. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten. In allen drei Fällen behaupteten die Rebellen, sie hätten die Maschinen abgeschossen.

"Das Lager ist voller Raketen"

Ob dies tatsächlich der Fall war, kann nicht überprüft werden. Doch nährten die Abstürze Spekulationen in Medien, wonach die Rebellen aus dem Ausland unter anderem mit Stinger-Raketen beliefert werden. Die Möglichkeit, dass etwaige Luftabwehrraketen aus syrischen Beständen stammen, wurde medial kaum in Erwägung gezogen - bis jetzt.

Denn wie neu aufgetauchte Videos zeigen, haben syrische Rebellen offenbar ein Lager mit SA-5-Boden-Luft-Raketen erobert. "Durch den Willen Gottes wurde die Iftrees-Basis von der Volksverteidigungsgruppe, einer Einheit aus Ost-Ghouta in der Provinz Damaskus, gestürmt", verlautbart die Stimme in einem der Videos. "Sturm auf das Raketenarsenal, zehn Raketen, Gott ist groß! Das Lager ist voller Raketen."

Oppositionsangaben zufolge befindet sich die die Iftrees-Raketenbasis außerhalb von Damaskus. Unabhängig überprüfbar wäre diese Information selbst in Friedenszeiten nicht, gelten doch sämtliche militärischen Einrichtungen in Syrien als geheim. Dass es allerdings viele derartige Basen gibt, ist unbestritten: Syrien ist einer der fleißigsten Importeure sowjetischer und russischer Waffensysteme.

Auch ein Video einer anderen Gruppe von Kämpfern, der Liwaa al-Islam (Islam-Brigade), zeigt die eroberte Basis und das gut gefüllte Raketenarsenal:

Tragbare Boden-Luft-Raketen

Doch selbst wenn die Raketen unbeschädigt und vollständig in die Hände der Rebellen gefallen sein sollten, dürften sie für die Kämpfer nur von geringem Nutzen sein. Denn die SA-5 ist ein hoch komplexes Waffensystem, das aus deutlich mehr als nur einer Rakete und der dazugehörigen Startrampe besteht. Wichtige Komponenten sind Suchradar, Zielsuch- und Zielverfolgungsgeräte, Höhenmess- und Feuerleitradar.

Den Piloten des Assad-Regimes weitaus gefährlicher könnten die SA-7-Raketensysteme werden. In der langen Herrschaftszeit der Familie Assad wurden vermutlich Tausende dieser hitzesuchenden tragbaren Raketensysteme an Syrien verkauft. Die Waffe wurde in den 50er und 60er Jahren in der Sowjetunion entwickelt und tauchte danach in vielen Ländern der Welt auf. Einige der Waffen dürften bereits Mitte August in die Hände von Rebellen gefallen sein. Wie, ist unbekannt, in einem Bericht des US-Magazins "Time" wird gemutmaßt, dass libysche Rebellen die SA-7 nach Syrien geschmuggelt haben könnten. Ein Video, das am 15. August veröffentlicht wurde, zeigt jedoch, dass Rebellen die begehrten Waffen aus syrischen Beständen erbeutet haben könnten:

Eine Aufnahme aus der Grenzstadt Abu Kamal zeigt ebenfalls Rebellen mit einer SA-7 auf der Schulter:

 

Einsatzbereit

Der Stolz und die Freude der Rebellen über die Beute sind groß. Doch möglicherweise haben sich die oppositionellen Kämpfer zu früh gefreut. Einerseits ist die SA-7 ein relativ altes Raketensystem, die meisten modernen Kampfjets können ihr mit Gegenmaßnahmen entkommen. Andererseits benötigen Kämpfer auch für die vergleichsweise einfach zu bedienenden SA-7-Raketen intensive Übung (zum Beispiel, aus welchem Winkel man das Fluggerät am besten angreift), um die Waffe einsetzen zu können.

Und trotz der zahlreichen Videos ist Vorsicht geboten, denn anhand der Aufnahmen kann nicht festgestellt werden, ob die Waffen überhaupt einsatzbereit sind. Ob die erbeuteten Waffen letztlich verwendbar sind, wird sich damit wohl erst in Zukunft zeigen - falls vermehrt syrische Jets und Kampfhubschrauber unerwartet schnell und unsanft die Erde erreichen. (Stefan Binder, derStandard.at, 31.8.2012)