Behindertenorganisationen kritisieren, dass intellektuell beeinträchtigte, gleichwohl arbeitende Menschen hierzulande keinen Lohn bekommen und auch nicht sozialversichert sind. Da sie dadurch aber den Anspruch auf eine eigene Pension verlieren, müssten "Bund und Länder rasch gesetzliche Schritte setzen", fordert die Lebenshilfe.

Die Realisierung dieser Wünsche könnte aber noch dauern. Seit Jahren wird zwar viel über eine Modernisierung der Sozialversicherungsgesetze debattiert, passiert ist aber bis dato nichts. Dabei widerspricht geltendes österreichisches Recht der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Verzögerung einer Lösung dürfte vor allem bei der klammen Budgetsituation zu suchen sein.

Taschengeld eines Erwachsenen nicht würdig

Derzeit erbringen rund 20.000 Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in Tagesstrukturen von Behindertenorganisationen ihre Leistung, ohne dafür entsprechend entlohnt zu werden. Sie bekommen für ihre Arbeit ein geringes Taschengeld ausbezahlt, das je nach Bundesland variiert, und hier zwischen 50 und 150 Euro schwankt, schreibt die Lebenshilfe. "Das Einkommen muss durch einen regulären Erwerbslohn abgesichert sein", fordert deren Generalsekretär Andreas Brandstätter.

Mit Eltern mitversichert

Geht es nach der UN-Behindertenrechtskonvention, dann ist eine Person mit geistigem Handicap selbst sozialversichert, und nicht - wie in Österreich - mit Angehörigen mitversichert. Da ist auch der Grund, warum sie letztlich keine normale Pension, sondern eine Waisenpension bekommen. "Die familienbezogenen Leistungen stammen aus einer Zeit, als die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen sehr niedrig war", so Lebenshilfe-Präsident Germain Weber. Die Mehrzahl der Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen feiere heutzutage den 70er und mehr und "will diese Zeit auch genießen".

Dabei schlägt die Lebenshilfe auch den Bogen zu den Heimkinderskandalen. Es habe sich um Personen gehandelt, die zu dem Zeitpunkt "rechtlich als erwerbsfähig eingestuft waren, und wo die Abgeltung ihrer erbrachten Arbeiten über ein Taschengeld eine massive Diskriminierung darstellt", heißt es in der Aussendung.

Hundstorfers Arbeitsgruppe

In Österreich wurde der Nationale Aktionsplan für Menschen mit Behinderung, ursprünglich für 2010 geplant, im Juli dieses Jahres beschlossen. Er sieht eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung vor. Die stößt sich noch an der rigiden 50-Prozent-Erwerbsunfähigkeits-Grenze, unter die viele geistig Behinderte fallen. Arbeitsminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ), der eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat, prüft gerade, ob es für diese verhältnismäßig schwerer betroffenen Menschen eine eigenständige Versicherung geben kann. Sozialhilfe und Waisenpension wären dann Schnee von gestern.

Es stößt sich am Geld

Spätestens bei der Geldfrage wird es dann spannend. Da sich die Sozialversicherung am Lohn einer Person orientiert, muss erst ausgearbeitet werden, wie der Verdienst auch der eingeschränkten Leistungskraft angepasst werden könnte. Da viele Behinderte betreutes Wohnen in Anspruch nehmen, müssten die Kosten dafür eigentlich vom Lohn abgezogen werden. Letztendlich müssten die Länder aber so oder so tiefer in den Geldbeutel greifen. Die Lebenshilfe jedenfalls sieht den Weg dorthin in einer Sackgasse, weil die Länder mehr Mittel aufwenden müssten, die sie aktuell nicht leisten wollten, berichtet "Ö1". Der Bund wird also Mittel einspritzen müssen.

Der Weg zu einer fairen Entlohnung geistig beeinträchtigter Menschen scheint zwar noch fern, aber nicht mehr so fern wie vor zehn Jahren. Es zeichnet sich ab, dass auch sie in Zukunft selbstbestimmt er leben können. (Hermann Sussitz, derStandard.at, 30.8.2012)