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Werner Faymann mit José Manuel Barroso in Alpbach.

Foto: APA/BKA/Wenzel

Ob es das Glück des geläuterten Tüchtigen war, oder gute Strategie, oder einfach Zufall, ist nicht ganz klar. Vermutlich war von allen diesen drei Elementen etwas dabei. Aber der Auftritt von Bundeskanzler Werner Faymann an der Seite von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zum Abschluss der Wirtschaftsgespräche des Forums Alpbach stellt jedenfalls einen markanten Stein in der innenpolitischen Geschichte dar: Man wird später einmal sagen, dass sich an diesem (nicht nur wettermäßig wechselhaften) Spätaugusttag ein früherer Wohnbaustadtrat von Wien definitiv zum Europakanzler gemausert hat. Österreichs Wirtschafts- und Politikelite hat das akzeptiert.

Das hat nicht zuletzt starke Auswirkung auf die kommenden Nationalratswahlen. Denn der ÖVP-Außenminister Michael Spindelegger hat gleichzeitig am selben Ort eine seltsame Demonstration gegeben: Er ließ sich als der europäisch gesinnte Regierungsmann verdrängen. Faymann hat ihm die Show gestohlen. Die traditionelle Europapartei ÖVP, die zeitgleich wieder einmal an der Demontage ihres Parteiobmanns arbeitet, hat ein großes Problem mehr.

Für viele Österreicher kommt das vermutlich überraschend. Faymann, das war doch jener EU-skeptische Lokalpolitiker, der 2008 nach einem EU-kritischen Unterwerfungsbrief an den Zaren der Kronenzeitung, Hans Dichand, und von dessen Gnaden die Kanzlerschaft errang. Jener Regierungschef, der gebrochen Englisch sprach, dem sichtlich unwohl war, wenn er zu EU-Gipfeln nach Brüssel reiste, und der an der internationalen Politik ungefähr so viel Interesse hatte wie ein Tierschützer an der Entenjagd.

Auch ich habe seine anfängliche EU-Ignoranz und Oberflächlichkeit, das Leugnen der Bedeutung der Integration einer so kleinen offenen Volkswirtschaft wie der österreichischen in Europa, zu Beginn der Regierung Faymann in meinem Europablog stets hart kritisiert.

Diese Einschätzung muss man nun wohl endgültig korrigieren. Faymann ist ganz offensichtlich gereift, der laufende europäische Krisenbewältigungsprozess scheint ihn vollkommen eingenommen zu haben. Der Kanzler ist in Europa, im Kreis jener, die im Rat der Regierungschefs über das Schicksal von 500 Millionen Menschen entscheiden, nicht nur inhaltlich, sondern auch mental angekommen. In Alpbach konnte man das sehen und hören, unmittelbar im Erwin-Schrödinger-Saal des Forums ebenso wie via Internet im Livestream oder in den Fernsehaufzeichnungen.

Was ist da passiert? Gleich drei wichtige Handlungsstränge liefen diesbezüglich zusammen: Der Sozialdemokrat Faymann trat in inhaltlicher und persönlicher Harmonie mit dem konservativen Barroso auf, als internationaler Staatsmann, sie sprachen sich vor dem Publikum mehrfach als "Freunde" an. Beide redeten Englisch. Der Kanzler präsentierte eine eigens erstellte Studie darüber, welch fatale wirtschaftliche und soziale Folgen ein Zerbrechen der Eurozone haben würde - und machte sich für den Euro, für Solidarität auch mit Griechenland stark. Und schließlich konnte die in Alpbach versammelte österreichische Elite aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit ansehen, wie Spindelegger das Feld räumte und zur Krisensitzung der ÖVP nach Wien eilte - der Außenminister trat zwar in der Früh bei einer Diskussionsrunde auf, bei der Rede von Barroso im brechend vollen Saal war er nicht mehr da.

Zum Ersten: Zum Abschluss der Wirtschaftsgespräche waren die Reden von Barroso und Faymann der protokollarische Höhepunkt. Für den neuen Forumspräsidenten Franz Fischler war allein das schon ein großer Erfolg. Denn Alpbach hat schon sehr lange keinen EU-Kommissionspräsidenten, der ein globaler "big player" ist, mehr gesehen. Und auch für Faymann war es der erste Auftritt im Denkerdorf in den Tiroler Bergen, das traditionell eher von der konservativen Elite beherrscht ist.

Nun hätten die Auftritte der beiden auch als routinierte Pflichtübungen ablaufen können. So war es aber nicht. Barroso hielt eine gute Grundsatzrede zur Notwendigkeit des europäischen Zusammenhalts und auch des Euro. Als er fertig war, stellte er sich, mehr als unerwartet und von Fischler angeregt, den Fragen des jungen Publikums. In freier Rede, so persönlich, wie man den sonst spröden Kommissionspräsidenten selten erlebt, hielt er dann praktisch eine zweite, noch viel bessere Rede über das Glück der Europäer seit dem Zweiten Weltkrieg, über Solidarität, wandte sich direkt an die Jungen: "Glaubt an Europa, seid offen für die Welt." Im Saal wurde Begeisterung spürbar. So viel Applaus hat es in Alpbach heuer für niemanden gegeben.

Zweitens: Das war dann ein idealer Boden für Faymann, der inhaltlich direkt an Barroso anschloss. Einen Nordeuro oder den Schilling wieder einzuführen wäre fatal, trug er vor, Dekonstruktion von Europa sei kein Weg, im Gegenteil: Es gelte jetzt, das Einigungswerk in Europa entschlossen fortzuführen. Er trug seine Rede auf Englisch vor, beantwortete auch in freier Rede die Fragen des Publikums in der internationalen Standard-Sprache. Der spricht ja besser Englisch als die übrigen Regierungsmitglieder, zollte ein konservativer Botschafter Respekt. Der "Provinzler" Faymann schien Geschichte. Die Stimmung mit Barroso war gelöst. Der Kommissionspräsident ging dann mit einer Studentengruppe sogar noch in die Berge.

Drittens: Dieser Etappenerfolg Faymanns gegen die ÖVP fiel in Alpbach umso mehr auf, als Spindelegger und die ebenfalls anwesende Finanzministerin Maria Fekter schon seit dem Vortag vor allem mit einem beschäftigt waren: Die Gerüchte über radikale Personalentscheidungen bis hin zur Ablöse des ÖVP-Chefs zu dementieren. Spindelegger konnte nicht einmal am Mittagessen mit Barroso teilnehmen, weil er nach Wien eilen musste. Kaum zu glauben, dass ein Außenminister sich das entgehen lässt. Die Delegation des EU-Kommissionspräsidenten gewann in Alpbach den Eindruck, dass Europapolitik in Österreich inzwischen entscheidend in den Händen des Bundeskanzlers liegt. Eine einschneidende Veranstaltung. (Thomas Mayer, derStandard.at, 30.8.2012)