Griaß eich! Vergangenen Samstag bin ich mit Sohn und Schwiegertochter in den Bergen gewandert. Bergwandern ist großartig, aber grußintensiv. Auf dem Weg von der Jausenstation "Zum guten Hirten" bis zum "Teichalmwirt" begegneten wir fünfhundert Mitwanderern und Mitwanderinnen, die wir allesamt herzlich grüßten. Danach waren unsere Münder so trocken, dass wir beim Teichalmwirt eine Extramischung (den Spritzer kennt der Steirer ja nicht) zu uns nehmen mussten.

In der Stadt kommen nur wenige auf die Idee, jeden Entgegenkommenden zu grüßen. Dies aus guten Gründen. Das Unterfangen, sich in der touristischen Hochsaison der Länge nach die ganze Mariahilfer Straße hindurchzugrüßen, hätte etwas Überforderndes, ja Perverses.

Die Alm hingegen provoziert zuverlässig Grußimpulse. Wohl deshalb, weil man in freier Natur menschlich gegen die Wildnis zusammenrückt. So schwebt denn im sommerlichen Österreich eine Permanent-Klangwolke von einander Begrüßenden über den Latschen und Graten, über den Almen und Olmen: "Hallo!", "Griaß di!", "Griaß eich!", "Seas!", "Hallodrio!","Servas!" (am Ulrichsberg kommt noch "Sieg Heil!" hinzu). Nur einige wenige vom alpinen Grußzwang genervte Grantscherm ziehen stumm wie Mufflons vorüber, während alle andern einander grüßen wie die Bösen.

Eine Frage, die sich auf dem Berg ständig stellt: Welcher Gruß ist der richtige? Die Etikette sagt: Über tausend Meter sind alle per Du, darunter alle per Sie. Das heißt: Auf dem Leopoldsberg (425 m) grüßt man korrekt mit "Grüssi", auf dem Mount Everest (8848 m) korrekt mit "Griaß di".

Immer ist die Grußwahl nicht so einfach. In der Gegend zwischen, sagen wir, 970 und 1030 Metern über dem Meeresspiegel kann man sich leicht vertun. Dann passiert es schon einmal, dass man von einem völlig Unbekannten auf dem Asylzapfen in den Kitzbühler Alpen (990 m) mit "Griaß di" gegrüßt wird, als habe man seit Jahren miteinander Schweine gehütet!

Natürlich: Die Unter-Tausend-Meter-Duzer (oder Über-Tausend-Meter-Siezer) meinen es selten böse. Es geschieht aus Uninformiertheit und Gedankenlosigkeit, dass sie sich im Ton vergreifen und unterlassen, was sie eigentlich tun müssten: Erst der Blick auf den Höhenmesser, dann grüßen. Ist doch ganz einfach. Nur daran denken müsste man halt. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 1./2.9.2012)