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Carsten Schneider: "Merkels Politik führt nur dazu, dass die antieuropäische Haltung in der Bevölkerung immer größer wird, die Krise sich verschärft und es logischerweise bereits Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft gibt."

Foto: Reuters/Thomas Peter

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Arbeit fürs Grobe: Die EZB als Merkels Erfüllungsgehilfin.

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Grafik: APA

Für die Eurozone brechen Schicksalswochen an. Eine Reihe wichtiger Treffen und Entscheidungen steht bevor, die die Schuldenkrise entweder entspannen oder die Lage eskalieren lassen. Doch die Entscheidungen zur Eurokrise fallen im Hinterzimmer, meint SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Erst kürzlich wurde Angela Merkel von "Forbes" als mächtigste Frau der Welt bestätigt. Sie kritisieren die Krisenpolitik der deutschen Bundeskanzlerin mit äußerst scharfen Worten. Was stößt Ihnen dabei besonders auf?

Schneider: Merkel betreibt gezielt Innenpolitik auf Kosten der europapolitischen Situation. Durch Nichtstun und durch das Streuen von Zweifeln, ob die Eurozone zusammenbleibt, trägt sie zu einem großen Teil zur Verunsicherung in der Bevölkerung und zur Eskalation der Krise bei.

derStandard.at: Folglich haben Sie Merkel aufgefordert, ihre "Visionen zur Europapolitik" darzulegen. Wie könnten diese aussehen?

Schneider: Merkel muss der deutschen Bevölkerung klar sagen, was sie will. Ihr jetziges Kuddelmuddel - eine Währung mit unterschiedlicher Finanzpolitik in den Euroländern - führt nicht weiter. Wir haben zwei Möglichkeiten: Wollen wir eine weitergehende Europäisierung oder eine Renationalisierung? Beides geht, beides ist aber nicht umsonst zu haben. Bei der Entscheidung muss die deutsche Bevölkerung miteinbezogen werden. Merkel aber tut nichts von alledem. Das liegt möglicherweise daran, dass sie in ihrer eigenen Koalition keine Mehrheit hat, oder weil sie selbst vielleicht nicht weiß, was sie eigentlich will, oder weil sie Angst hat, dem deutschen Volk die Wahrheit zu sagen.

derStandard.at: Was ist die Wahrheit?

Schneider: Merkels Politik führt nur dazu, dass die antieuropäische Haltung in der Bevölkerung immer größer wird, die Krise sich verschärft und es logischerweise bereits Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft gibt. Rezession in den Peripheriestaaten bedeutet letztlich auch Rezession für Deutschland - wenn es in diesem Tempo weitergeht, wohl bereits innerhalb eines Jahres. Durch Merkels Politik steckt Deutschland schon längst da, wovor Merkel immer warnt - mittendrin in der Schuldenunion.

derStandard.at: Sie sorgten kürzlich für Aufregung, als sie sagten, Deutschland hafte in der Eurokrise mit einer Billion Euro. Wie setzt sich diese Summe zusammen?

Schneider: Sollte der Euro scheitern, steht Deutschland neben 310 Milliarden Euro für Griechenland-Pakete und Rettungsschirme auch für Zentralbank-Transaktionen in Höhe von über 700 Milliarden Euro ein. Angela Merkels Politik besteht darin, andere die Drecksarbeit machen zu lassen. Durch ihr Nichthandeln musste die EZB einspringen. Sei es durch Staatsanleihen-Käufe, sei es durch die Notmaßnahmen in Griechenland wie die Emergency Liquidity Assistance (ELA, Liquiditätshilfe im Notfall, Anm.) für Banken. Die EZB greift ja nur dann ein, wenn sie die Stabilität des Finanzmarktes in Gefahr sieht und es letztendlich politisch nicht klar ist, in welche Richtung es geht.

derStandard.at: Was kreiden Sie der EZB an?

Schneider: Die EZB verfolgt eine Politik gemäß dem Motto "Not kennt kein Gebot". Allerdings besteht ein großer Unterschied zwischen Finanz- und Geldpolitik. Finanzpolitische Fragen wie Ausstattung des Staates mit Geld, Steuern, Abgaben, Staatsverschuldung sind nicht durch das Mandat der EZB gedeckt. Das heißt, sie dürfte bei diesen Themen nicht eingreifen. Indem sie es trotzdem tut und dadurch politische Entscheidungen vorwegnimmt, wird sie zur Erfüllungsgehilfin von Frau Merkel.

derStandard.at: Das heißt, die EZB ist längst schon von ihrer eigentlichen Aufgabe, der Geldpolitik, abgekommen?

Schneider: Es kann nicht sein, dass finanzpolitische Entscheidungen, um den Euro zusammenzuhalten, in irgendeinem Hinterzimmer von Merkel und Draghi (EZB-Chef Mario Draghi, Anm.) getroffen werden. Die Bevölkerung weiß nicht, was eigentlich passiert. Weder sie noch ihre Repräsentanten dürfen mit- oder abstimmen. Dadurch verstärkt sich der Frust in der Bevölkerung. Auch mit dem weiteren Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB lässt sich bestenfalls etwas Zeit kaufen, aber keinesfalls Vertrauen herstellen. Es zeigt sich ganz deutlich, dass die EZB zum Spielball der Finanzpolitik wird.

derStandard.at: Nun reklamiert die EZB auch noch die Bankenaufsicht für sich.

Schneider: Darin findet sich ein Riesenwiderspruch: Es kann doch nicht sein, dass ein Bankenaufseher gleichzeitig für die Liquiditätsversorgung der Bank zuständig ist. Auch das ist nicht Aufgabe von Geldpolitik.

derStandard.at: Sie fordern Merkel auf, die "Kakophonie in der Regierungskoalition zu wichtigen europapolitischen Weichenstellungen" einzudämmen. Was meinen Sie damit konkret?

Schneider: Man sollte nur dann über Griechenland sprechen, wenn Griechenland auf der Tagesordnung steht. Derzeit verhält es sich so, dass zwei Regierungsparteien, ein Vorsitzender, ein Vizekanzler, ein Finanzminister usw. Griechenland-Bashing dazu benutzen, von den eigenen innerparteilichen Konflikten abzulenken.

derStandard.at: Denken Sie, dass Griechenland im Euro zu halten ist?

Schneider: Das ist eine rein politische Entscheidung. Ich halte einen Austritt Griechenlands für die gefährlichste Variante. Sie wäre nicht nur finanziell die teuerste Lösung, sondern hätte eine weitere Spaltung der EU zur Folge. Das heißt, anstelle von Beruhigung entstünde zusätzliche Verunsicherung. Die Sorge, ihre Investitionen nicht mehr in Euro, sondern vielleicht in einer anderen Währung, in Drachmen beispielsweise, zurückzubekommen, würde Investoren wohl veranlassen, ihr Geld auch aus anderen Ländern abzuziehen.

derStandard.at: In dieser Hinsicht sind Sie konform mit der Linie der österreichischen Finanzministerin Maria Fekter, die meint: "Die Griechenlandhilfe ist sauteuer, aber die günstigste Variante."

Schneider: (lacht) Wenn Fekter das so gesagt hat, hat sie zumindest einmal etwas Gescheites gesagt. Soviel ich weiß, ist sie in Österreich ja recht umstritten, auch bei uns - nicht ohne Grund, wie ich meine.

derStandard.at: Wie soll es mit Griechenland weitergehen?

Schneider: Entscheidend sind nicht unbedingt die Zahlen. Entscheidend ist, ob die Griechen gewillt sind, ihr Land ernst zu nehmen, für ihr Land zu kämpfen, zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Sind die Griechen dazu bereit, sollten sie auch die Chance bekommen, dies innerhalb der Europäischen Union zu tun. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 4.9.2012)