Norbert Schulz-Bruhdoel ist Inhaber von "Punktum-PR + Dialog Agentur für Konzeption und Training" in Remagen.

Foto: Punktum-PR

STANDARD: Was nennen Sie Fehleinschätzungen und Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit?

Schulz-Bruhdoel: Einige Beispiele: Wenn die Erträge sinken, wird zuerst bei den Kommunikationsausgaben gekürzt - sinnvoll wäre das Gegenteil. Schlechte Nachrichten und ehrliche Analysen werden nicht zur Kenntnis genommen. Ausgefeilte Kommunikationskonzepte werden ruiniert, weil sich die Entscheider einige Rosinen herauspicken. Medienanfragen gelten als Belästigung. Schulungen für den gelungenen Auftritt vor Mikrofon und Kamera halten die wenigsten für nötig. Marketingdenken bestimmt auch die Pressearbeit, sodass in den Redaktionen unablässig Texte ankommen, die viel zu werblich formuliert sind. Agenturen werden nicht wegen ihres Beratungspotenzials beschäftigt, sondern als externer Mitarbeiterpool missbraucht. In Krisensituationen taucht alles ab und mauert, statt offen und offensiv mit Anschuldigungen umzugehen. Manchmal scheint es, dass Öffentlichkeitsarbeit als die Verhinderung von Öffentlichkeit gedeutet wird. Von der Sache weitgehend Unbeleckte sollen diese heikle Aufgabe meistern, statt dass Profis damit betraut werden. Ein häufiger Grund, weshalb von konsequentem, in sich schlüssigem und weiträumig geplantem Handeln oftmals nichts zu spüren ist.

STANDARD: Unbeleckte - was meinen Sie damit?

Schulz-Bruhdoel: Ich verrate Ihnen, was ein erfolgreicher Mittelständler sagte, als ich ihm empfahl, jemanden für die Öffentlichkeitsarbeit einzustellen: "Wenn Sie meinen. Ich spreche mal mit einem Mädel aus meiner Familie. Die sieht gut aus und ist schon ganz erfolgreich als Vertreterin. Die kann dann ja mal rumflitzen und in den Redaktionen unsere Prospekte verteilen.

STANDARD: Und wie haben Sie den Ahnungslosen auf den rechten Weg geführt?

Schulz-Bruhdoel: Ich habe ihn gefragt, ob er seinen Schwager zum Chef der technischen Entwicklung in seinem Unternehmen machen würde, wenn dessen einziger Qualifikationsnachweis darin bestünde, schon mal ein Fahrrad repariert zu haben. Die Unternehmenskommunikation gehört in die Hand von Fachleuten, und die werden in etlichen Hochschulstudiengängen oder von darauf spezialisierten Privatinstituten ausgebildet. Fehl am Platz sind die, die gerade mal zur Hand sind. Und ebenso die Dauerlächler, Schönredner und Blankputzer, die Prahlhänse und Lautsprecher.

STANDARD: Leidet also Qualität und Ansehen der Öffentlichkeitsarbeit unter der zu leichtfertigen Stellenbesetzung?

Schulz-Bruhdoel: Tatsache ist, es gibt zu viele Unternehmen, die "Öffentlichkeitsarbeit" betreiben, aber noch nicht erkannt haben, dass es sich dabei um ein komplexes Fachgebiet mit einem entsprechenden Anforderungsprofil handelt. Eine weit verbreitete Fehleinschätzung ist beispielsweise, dass gelernte Journalisten ideale PR-Leute seien. Wer von der Zeitung kommt, schreiben kann und die Redaktionsabläufe kennt, hat darum noch längst nicht die notwendige Ahnung von strategisch angelegter Kommunikation. Wenn es um die Leitung eines Teams mit differenzierten Kommunikationsaufgaben geht, werden ohnehin noch ganz andere Fähigkeiten verlangt, die ein Ex-Redakteur nicht ohne weiteres mitbringt.

STANDARD: Wird qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit nicht auch dadurch oft unmöglich gemacht, dass die oder der Zuständige häufig als fünftes Rad am Unternehmenswagen behandelt wird?

Schulz-Bruhdoel: Öffentlichkeitsarbeiter stehen nicht selten isoliert da, gelten manchmal sogar als Paradiesvögel. Als bei einem großen Autokonzern vor Jahren der Kommunikationschef zum Vorstandsmitglied gemacht wurde, haben die anderen hohen Herren das nur schwer ertragen - ein promovierter Geisteswissenschafter mit Esprit und Humor war in ihren Reihen noch nicht vorgekommen. Doch schlimmer ist, dass Öffentlichkeitsarbeit sehr oft als Anhängsel des Marketings organisiert ist, bisweilen sogar als Wurmfortsatz des Vertriebs. Andererseits ist es schon einmal gut, wenn es überhaupt einen Öffentlichkeitsarbeiter gibt. Der sollte dann aber auch in der Lage sein, den Wert seiner Arbeit für das Unternehmen in der Chefetage ebenso deutlich machen zu können wie in der Belegschaft.

STANDARD: Sie beobachten die Kommunikationsarbeit von Unternehmen und Institutionen kontinuierlich - können Sie einen Wandel, vielleicht sogar einen Fortschritt in Richtung einer professioneller betriebenen Öffentlichkeitsarbeit erkennen?

Schulz-Bruhdoel: In vielen Organisationen wäre ein Umdenken vonnöten. Doch in manchem Einzelfall zeigt sich ein positiver Trend. Zum einen erkennen immer mehr Unternehmen und Institutionen, dass Öffentlichkeitsarbeit ihnen nutzt. Zum anderen haben wir es mit immer mehr Akteuren zu tun, die ihr Handwerk grundständig gelernt haben, die PR nicht als eine beliebige Aneinanderreihung von einzelnen Ad-hoc-Maßnahmen verstehen und betreiben, sondern die ihre kommunikativen Aufgaben und oftmals auch Herausforderungen auf eine strategisch angelegte Art und Weise angehen und betreiben. Was ihnen dabei leider oft noch fehlt und die Arbeit erschwert, ist Verständnis von oben. In vielen Vorständen und Geschäftsführungen muss sich noch das Verständnis für diesen ihnen oft vom Wesen her fremden Beruf des Kommunikationsmanagers entwickeln. Und dieses Verständnis umfasst auch, dessen Kompetenzen weiter zu fassen, als es heute vielfach üblich ist.

STANDARD: Und das heißt konkret?

Schulz-Bruhdoel: PR-Verantwortliche müssen als kompetente interne Berater verstanden werden, die man nicht als Ja-Sager einkauft, sondern als kritisch-konstruktiven Geist mit kreativem Potenzial. Das gilt auch für die Einbindung von externen Agenturen. Die Öffentlichkeit ist heute kritischer, sie verlangt Aufklärung und Dialogbereitschaft, unternehmerische Entscheidungen werden nicht mehr ohne weiteres akzeptiert. Hier sind Akteure gefragt, die sich dessen bewusst sind, die ihr Handwerk entsprechend gelernt haben und für die öffentliche Neugier oder Kritik keine Panikquelle ist, sondern eine Selbstverständlichkeit, mit der sie umgehen können. Solche Fachleute brauchen eigene Gestaltungsspielräume mit einem angemessenen Etat. Und das ist längst kein spekulativ eingesetztes Geld mehr. Es gibt heute recht verlässliche Möglichkeiten, den Erfolg von PR-Maßnahmen zu messen. Die Medienbeobachtung und geschickte Ideen aus der Markt- und Meinungsforschung garantieren heute ein ganz gutes Controlling auch in der Öffentlichkeitsarbeit.

STANDARD: PR ist also ...

Schulz-Bruhdoel: ... Teil der Wertschöpfungskette eines Unternehmens. Oder anders gesagt: Qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit, von kompetenten Fachleuten betrieben und von den Unternehmensverantwortlichen unterstützt, ist im heutigen Wettbewerb ein unverzichtbarer Produktionsfaktor, dessen Leistung darin besteht, einem Unternehmen nach innen und außen Profil zu geben und dieses Profil konturenscharf zu erhalten. Und zwar lokal, regional und überregional. Dafür, dass alle drei Ebenen sorgfältig beachtet und gepflegt werden müssen, ein Beispiel: Ein Unternehmen mit einem Umsatz von mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr hielt es für unter seiner Würde, einen regelmäßigen Kontakt mit der lokalen Zeitung zu pflegen. Nur die großen Blätter und das Fernsehen zählten. Dann kam der kritische Zwischenfall. Das Unternehmen stand plötzlich im Hagel der Kritik. Jetzt schlug die Stunde des missachteten Redakteurs des Lokalblatts. Seine Zeitung wurde plötzlich zum Leitmedium, von dem alle anderen ihre Informationen bezogen - auch die Großen. Die Arroganz des Unternehmens hatte den Journalisten natürlich nicht freundlicher werden lassen. Und zum Schluss vielleicht noch ein Hinweis: Manches Unternehmen, das auf eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit verzichtet und trotzdem gut dasteht, könnte bestimmt noch besser dastehen, wenn es sich um sein Ansehen kümmern würde. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 1.9./2.9.2012)