Wien - Der Handel mit Emissionszertifikaten lieferte eines der krassesten Beispiele dafür, welche Dimensionen Mehrwertsteuerbetrug binnen kürzester Zeit annehmen kann. Um fünf Milliarden Euro wurden die EU-Staaten 2008 und 2009 geschädigt, schätzt die Polizeibehörde Europol. Insgesamt sollen die Schäden bei jährlich 100 Milliarden liegen, schätzt die EU-Kommission.

Seit Jahren wird daher an Modellen gearbeitet, wie man den Betrügern das Handwerk legen könnte. In Österreich macht sich die Finanzgewerkschaft dafür stark, auf ein rein elektronisches Mehrwertsteuersystem umzustellen. Vor kurzem gab es dazu eine Präsentation im Finanzministerium. Die Umsetzung scheitert aber aus EU-rechtlichen Gründen.

Die Grundidee: Kauft ein Unternehmer bei einem anderen ein, würde gleich beim Bezahlen online gecheckt, ob der Kunde vorsteuerabzugsberechtigt ist. Umsatz- und Vorsteuer würden also zeitgleich ausgebucht.

Rechtliches Hick-Hack

Damit wäre eine Lücke geschlossen. Jetzt kommt die Finanz nämlich häufig erst im Nachhinein drauf, dass sie Opfer von sogenanntem Karussellbetrug wurde. Das Spiel geht so: A verkauft an B Waren oder Dienstleistungen, sagen wir um 100.000 Euro. Inklusive Mehrwertsteuer verrechnet er 120.000 Euro. B holt sich die 20.000 Euro als Vorsteuer von der Finanz zurück. A taucht aber unter, bevor er die 20.000 an Umsatzsteuer bezahlt.

Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) hielte das elektronische Modell für sinnvoll, wie es in ihrem Büro heißt. Eine verpflichtende Umsetzung für alle Unternehmer verstoße aber gegen die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie. Und für eine Änderung müssten alle EU-Staaten zustimmen, was derzeit unrealistisch sei, wie es heißt.

In Gewerkschaftskreisen könnte man sich aber auch vorstellen, auf freiwilliger Basis mit dem Online-System zu starten. Das wäre zwar laut Ministerium "zulässig", man halte es aber für nicht sinnvoll, weil es Betrug sogar "erleichtern würde", wie ein Sprecher meint. "Für betrügerische Aktivitäten stünde eine weitere Variante zur Verfügung, ohne dass die Variante, die derzeit den Karussellbetrug ermöglicht, abgestellt wird", so die Begründung.

Schneller reagieren

In Brüssel gestalten sich Reformen bei der Mehrwertsteuer seit Jahren schwierig. Die Kommission möchte nun zumindest erreichen, dass die einzelnen Länder auf neue Betrugsmethoden schneller reagieren können, wie aus einem Ende Juli ausgeschickten Entwurf hervorgeht. Derzeit dauert es bis zu acht Monate, bis beantragte Ausnahmeregelungen von der Kommission genehmigt werden. Zudem müssen alle anderen EU-Staaten zustimmen.

Ein neuer "Schnellreaktionsmechanismus" soll künftig binnen vier Wochen aktiviert werden können. Und zwar dann, wenn einzelne Branchen " unvermittelt" und in "großem Umfang" von Betrug betroffen sind. Für diese Branchen kann dann beantragt werden, dass die Mehrwertsteuerschuld vom Käufer auf den Verkäufer übergeht. In einigen Bereichen - etwa Bau, Schrotthandel, Handys - wird das in Österreich schon praktiziert. Freilich gibt es auch hier Tücken: Es besteht die Gefahr, dass sich Private als Unternehmer ausgeben, "netto" einkaufen, später aber nicht die Umsatzsteuer zahlen. (Günther Oswald, DER STANDARD, 3.9.2012)