Vollständiger Teil sein ist das Ziel von Inklusion. Elisabeth Löffler berät in der "Zeitlupe" Frauen.

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Die aktuellen Zahlen sind alarmierend: Im Vergleich zum Vorjahresmonat waren im August 2012 um 16,7 Prozent mehr Menschen mit Behinderung in Österreich ohne Job. Aus dem Sozialministerium heißt es, die Zahlen seien so hoch, weil die Erfassung von Menschen mit Behinderung beim AMS vorangetrieben werde.

Fakt ist aber: Nicht einmal jeder vierte der 17. 000 eigentlich dazu verpflichteten Betriebe stellt Menschen mit Behinderung - rund 1,6 Millionen der 16- bis 64-Jährigen in Österreich - ein. Ursula Naue sieht den Kern des Übels im Bildungswesen: "Das Sonderschulsystem ist ein Teufelskreis", sagt die Expertin für Behindertenpolitik der Uni Wien. Wer einmal in einer Sonderschule sei, habe seine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt vertan.

Wer Glück hat, findet einen Platz in einer Werkstätte: Rund 20.000 Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung werken nach Angaben der Lebenshilfe derzeit in Tagesstrukturen von Behindertenorganisationen und erhalten Taschengeld. Damit sei Österreich "eines der wenigen Länder in der EU, in dem Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung keine eigene Sozialversicherung und in Folge keine Pension erhalten", kritisierte Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter vorige Woche.

"Nap Behinderung" beschlossen

Bis 2020 soll sich die Situation behinderter Menschen verbessern: Ende Juli hat das Parlament den Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen ("Nap Behinderung") beschlossen. Dieser sieht 250 Maßnahmen vor, die laut Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) "nahezu alle Politik- und Lebensbereiche abdecken". Der Plan soll die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sichern, die Österreich 2008 ratifiziert hat.

Zu den Maßnahmen zählen die Reform des Sachwalterrechts und die Weiterentwicklung der Beschäftigungsoffensive. Bundes-Behindertenanwalt Erwin Buchinger ließ vor wenigen Tagen mit herber Kritik am Nap aufhorchen. Viele Ziele seien unverbindlich, und es fehlten zusätzlichen Mittel für die Umsetzung. Dabei brauche es 50 bis 100 Millionen Euro dafür. In Hundstorfers Büro heißt es, es existierten sehr wohl fixe Ziele - zum Beispiel der barrierefreie Zugang zu Ministerien -, und für deren Erfüllung brauche es natürlich Geld. Dafür gebe es lediglich keinen eigenen Topf.

Naue kritisiert, dass "Inklusion nur stattfinden kann, wenn behinderte Menschen teilhaben können". Das Erstellen des Nap sei nicht partizipativ gewesen. Das Sozialministerium beschreibt das ganz anders: Man habe sämtliche Organisationen eingebunden. Die Politologin sieht Österreich in Sachen Inklusion (siehe Wissen unten) allerdings so weit hinten, dass es sich international vieles abschauen könnte - etwa von Skandinavien oder Italien, wo es keine Sonderschulen mehr gibt.

Invalide wegen Depression

Auch im Bereich der Inklusion von Menschen mit psychischen Erkrankungen in die Arbeitswelt hat Österreich Aufholbedarf. Die Zahl der aufgrund von Borderline, Depression und Burnout für arbeitsunfähig erklärten Menschen stieg in den letzten Jahren rapide an. Waren in den 90er-Jahren nur 20 Prozent aller Invailditätspensionisten psychisch krank, sind es jetzt 54 Prozent. "Diese Menschen dürfen ebenfalls nicht vom Erwerbsleben ausgeschlossen werden", sagt Stefan Brinskele, Geschäftsführer von Reintegra.

Die Organisation, getragen von der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer, bemüht sich seit mehr als 30 Jahren, psychisch Erkrankte in ein Erwerbsleben zurückzuführen. Es ist die größte Einrichtung dieser Art im deutschsprachigen Raum, 250 Klienten können ständig betreut werden, das Durchschnittsalter beträgt 35 Jahre.

Schrittweise Heranführung

In den Projekten werden die Klienten schrittweise wieder an einen Arbeitsalltag herangeführt. Sie arbeiten entweder direkt im Reintegra-Betrieb mit oder erledigen stundenweise Arbeiten für Unternehmen wie isi oder Electroplast in Wien und können sich so bis zu 300 Euro monatlich dazuverdienen. Rund 350 Klienten wurden bereits in eine dauerhafte Anstellung übernommen. Das ist auch das Ziel.

"Invaliditätspension ist nicht die richtige Maßnahme, wir brauchen einen Paradigmenwechsel", fordert Brinskele, selbst Psychotherapeut. Gesellschaftliche Stigmatisierung und Vorurteile seitens der Wirtschaft seien ein großes Problem. Mit der Pensionsreform sollen psychisch Erkrankte ab 2014 einen Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation bekommen. Brinskele rechnet mit bis zu 4000 Neuzugängen. Bei einem Kick-off im Sozialministerium wird festgelegt, wie die Angeboten aussehen können. (Julia Herrnböck/Gudrun Springer, DER STANDARD, 4.9.2012)