
Lernen, spielen, Hobbys entdecken: Roma-Kinder aus Periam mit ihren Betreuerinnen im Lernzentrum. Viele Eltern sind Analphabeten, was es für die Familien schwierig macht, ihre Kinder zu unterstützen.
Ein Neuanfang sieht manchmal bescheiden aus. In Periam, einem 6500-Seelen-Ort am westlichsten Zipfel von Rumänien, versteckt er sich hinter einer unscheinbaren grünen Tür an einer staubigen Straße, wo ein Haus dem anderen gleicht. Hier, in dem schmalen Gebäude mit drei Zimmern und einem länglichen Innenhof, soll die Zukunft der örtlichen Roma-Minderheit auf eine neue Grundlage gestellt werden. Langfristig gedacht. Kurzfristig hilft das Lernzentrum den Roma-Kindern, in der Schule besser mitzukommen, damit sie nicht im Teufelskreis von Arbeitslosigkeit und Armut landen wie viele ihrer Eltern.
Dass es anders geht, hat Veresan Viorel bereits bewiesen. Der Roma-Sprecher der Gemeinde ist so etwas wie ein Star für die Kinder des Zentrums, das von der Erste Stiftung und der Caritas betrieben wird. Selbst in einem Kinderheim aufgewachsen, hat der 35-Jährige sich das Abitur erkämpft. Heute versucht er, die Eltern von einer Schulbildung für die Kinder zu überzeugen. "Die meisten Eltern, die ihre Kinder hier hergeschickt haben, hatten sehr wenig mit der Schule zu tun. Es gibt viele Analphabeten."
Schüleranzahl verdoppelt
550 Menschen umfasst die Roma-Gemeinschaft in Periam, 60 Prozent sind arbeitslos. Wer Geld verdienen will, sammelt Alteisen oder heuert als Tagelöhner an. Oft mussten die Kinder auf ihre kleine Geschwister aufpassen und wurden auch deshalb nicht zur Schule geschickt. Seit es das Zentrum gibt, hat sich das geändert, weil die Kinder nun dort betreut werden. Bei der Eröffnung vor vier Jahren gingen 50 Roma-Kinder zur Schule. "Jetzt sind es 100", rechnet Viorel stolz vor.
Inzwischen sind die Kinder in den Klassen nicht mehr diskriminiert und werden von den Lehrern mehr beachtet, berichtet Floarea Boariu, die Leiterin des Zentrums. Auch die Schuldirektorin Adriana Bucse erzählt, dass bei den schulischen Leistungen keine wesentlichen Unterschiede mehr zwischen den Roma-Kindern und dem Rest der Klassen bestünden.
Schwierige Zusammenarbeit mit den Eltern
Dabei leistet das Zentrum auch das, was eigentlich Aufgabe der Eltern wäre: Die Mitarbeiter gehen zu Elternabenden, überprüfen die Hausaufgaben. Leiterin Boariu: "Wir zeigen ihnen Grundlagen der Hygiene, gehen mit ihnen in die Kirche und versuchen, auch alle anderen Dinge aufzuholen, die zur Erziehung gehören."
Schuldirektorin Bucse hat schon versucht, Kontakte zu den Eltern herzustellen. "Aber sie glänzen durch Abwesenheit. Es ist sehr schwer, mit Roma-Eltern zusammenzuarbeiten." Auch wenn sie die Eltern einlade, lehnten es diese oft ab, in die Schule zu kommen. Die Erziehung überließen sie dem Zentrum und den Lehrern. "Sie mischen sich nicht ein."
Viele Vorurteil
Armut und Analphabetismus machen Experten wie Crina Morteanu von der Erste Stiftung in Rumänien dafür verantwortlich, dass viele der geschätzten zwei Millionen Roma in dem Land immer noch in abgetrennten Siedlungen leben. "Und in der Gesellschaft gibt es nach wie vor viele Vorurteile", sagt Morteanu, die selbst der Roma-Minderheit angehört. Vielfach werde die Volksgruppe mit Dreck, einem Haufen Kinder und früher Heirat verbunden. Dabei finde man überall gut integrierte Roma-Vertreter. "Mich nehmen die Leute aber nicht als Romni wahr, weil ich nicht dreckig bin, keinen langen Rock trage, reise und nur ein Kind habe."
Lisi, eine 38-jährige Mutter von zwei Kindern, wohnt in einem Haus in der Roma-Siedlung am Stadtrand von Periam. Sohn Romeo, zwölf Jahre, will Chauffeur werden, seine fünfjährige Schwester Anna Maria Ärztin. "Ich wünsche mir ein besseres Leben für meine Kinder. Ich hatte keine Möglichkeit zu arbeiten und bin nie auf die Schule gegangen." Jetzt, sagt sie, erzähle ihr Sohn oft vom Unterricht. Und manchmal zeige er ihr auch, was er gelernt habe. (Julia Raabe aus Periam, DER STANDARD, 4.9.2012)