Es war einer der erinnerungswürdigsten Politikfernsehmomente der letzten Jahre. Im Mai 2009 lässt Armin Wolf H.-C. Strache lang und breit über sein Lieblingsbuch "Der Waldgang" (1951) von Ernst Jünger und die ach so tolle selbst verfasste Rezension plaudern. Dieser erklärt sichtlich geschmeichelt, dass er Hobbyschriftsteller sei und wie gut ihm das Buch gefalle. Eiskalt lässt Wolf Strache damals auflaufen und konfrontiert ihn erst nach quälend langer Zeit des Selbstlobs mit der Tatsache, dass die Rezension komplett von einer Naziseite abgeschrieben wurde. Strache kommt ins Stottern und versucht sich erfolglos herauszuwinden. Die Geschichte war auch rund um das diesjährige "Sommergespräch" wieder Thema.

Straches Abschreiben ist eine kaum zu überbietende Peinlichkeit. Wolfs meisterhaft ausgeführtes Aufdecken ebenjener muss natürlich gebührend gelobt werden. Aber es sollte nicht der zentrale Punkt sein. Viel wichtiger sind zwei andere Aspekte. Erstens: Von wem wurde abgeschrieben? Und zweitens: Was ist das überhaupt für ein Buch?

Strache schreibt von der Neuen Rechten ab

Der erste Aspekt ist leicht abgehandelt. Die Rezension hat niemand anderer als Jürgen Hatzenbichler verfasst. Dieser war in den 90er Jahren die zentrale Figur der Neuen Rechten in Österreich und im ganzen deutschsprachigen Raum. 1991 schaffte er den Sprung zur "Jungen Freiheit", damals das Zentralorgan der Neuen Rechten. Die Neue Rechte versuchte und versucht, das Nazi-Image loszuwerden, und bemüht sich um seriöses Auftreten und Andocken ans konservative Lager. Mittlerweile sind viele ihrer Diskurse wie die Extremismusdebatte oder kulturalistische Deutungen wie der Ethnopluralismus in einer breiten Debatte angekommen.

Verschiedene rhetorische Strategien und modernisierte Denkweisen rechtsextremer Theorien machen sie aber nicht weniger antidemokratisch und antiegalitär. Ihre Anknüpfungspunkte bilden nicht mehr NS-Theoretiker wie Alfred Rosenberg, sondern faschistische Schriftsteller wie Julius Evola und die sogenannte Konservative Revolution im Deutschland der 20er und 30er Jahre. Womit wir bei Punkt zwei wären. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich Hatzenbichler mittlerweile aus der Szene zurückgezogen hat.)

Ernst Jünger und die Konservative Revolution

Die Konservative Revolution bezeichnet ein Netzwerk antidemokratischer Schriftsteller und Theoretiker, die gegen die Weimarer Republik und die Demokratie agitierten. Damit bereiteten sie dem Nationalsozialismus den Weg und waren mehr als dessen bloße Stichwortgeber. Der Begriff selbst ist umstritten, da er vom Neu-Rechten Armin Mohler geprägt wurde. Mittlerweile versucht die Forschung, differenzierter vorzugehen. Einige Personen ragen als oft genannte Vertreter heraus, wie Carl Schmitt (einst Kronjurist Hitlers), Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes") und eben Ernst Jünger.

Jünger hat vor und nach dem Zweiten Weltkrieg aus seiner Abneigung gegen Demokratie nie einen Hehl gemacht. Dazu passt durchaus, dass er Gegner des NS-Regimes war. Nicht aus humanistischen Gründen, sondern weil es für ihn zu plump, dumpf und massenkonzentriert war. Diese Kritikpunkte teilten einige konservative Revolutionäre, aber keiner begab sich so deutlich in Widerspruch zum Regime wie Jünger mit "Auf den Marmorklippen" (1939). Trotzdem bleibt die Kritik der Konservativen Revolution und Jüngers am Nationalsozialismus eine aus dem gleichen Lager. Eine Analyse, die auf einer Ungleichheit und einer Ungleichwertigkeit von Menschen beruht, teilen sie.

Das Lauern auf die richtige Zeit

In Straches Lieblingsbuch "Der Waldgang" beschreibt Jünger ein Konzept der Nichtanpassung. Kann in einem System nicht mit baldigem Wechsel oder Umsturz gerechnet werden, dann kann sich eine Person, die sich im Widerspruch zu ihrer Zeit befindet, allegorisch in den Wald zurückziehen. Dort wartet sie auf den richtigen Moment. Der Wald symbolisiert das Verborgene, wo es wenige Menschen und zudem gute Verstecke gibt.

Die Stadt als Pendant steht für Masse und Anpassung. Der Waldgang ist also eine Art inneres Exil und zugleich Vorbereitung auf kommende Zeiten. Ein verwandtes Konzept ist Julius Evolas apoliteische Vorstellung des Interregnums (von dem die Neue Rechte ihre Metapolitik ableitet). Wenn sich die Verhältnisse nicht sofort ändern lassen, braucht es kein Mitmischen in Tages- und Parteipolitik. Auch Schmitts "Partisan" geht in diese Richtung.

Gemein ist allen die Stilisierung des heroischen Einzelkämpfers, der einsam, aber treu zu seiner Gesinnung steht und im richtigen Augenblick die Geschichte selbst bestimmen kann. Bis dahin erfolgt kein offener, sondern subversiver Widerstand über Symbole, die die vermeintliche Uniformität der Angepassten brechen sollen. Die neu-rechte Gruppierung Der Funke ist zum Beispiel ein großer Fan dieses Konzepts und propagiert es auf ihren Kanälen. Strache selbst ist sich nicht zu blöd, offen auf diese rechtsextreme Organisation Bezug zu nehmen und ihre Inhalte auf Facebook zu teilen (Details dazu hier zum Nachlesen).

Jünger und Strache

Was bezweckt Strache mit diesem Lieblingsbuch? Es ist eine klare Ansage an die rechtsintellektuelle Szene. Eine offene Bezugnahme auf einen Nazi kam natürlich nicht in Frage. Jünger hingegen ist herzeigbar. Auch weil die meisten JournalistInnen wohl nichts mehr mit ihm anfangen können und seine Werke nicht kennen.

In der rechten Szene steht er aber nach wie vor ganz oben auf den Bücherlisten. Bleibt nur die Frage, ob Strache Jünger tatsächlich gelesen und verstanden hat oder es vielmehr ein Angeberlieblingsbuch der rechten Szene ist. Ein Treppenwitz ist dabei doch, dass Strache das genaue Gegenteil eines Waldgängers repräsentiert. Er ist ein dumpfer Marktschreier, der mit billigen rhetorischen Schmähs die Massen agitieren will. Jünger selbst hätte damit wohl auch aus streng rechter Sicht keine Freude gehabt. (Natascha Strobl, derStandard.at, 6.9.2012 )