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Elizabeth Blackburn

Foto: APA/EPA/TONI ALBIR

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Wimperntierchen entwickeln das Enzym Telomerase, mit dem sie vor der Zell teilung die Telomere länger machen. Damit halten sie den Alterungsprozess auf.

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Standard: Seit Sie den Nobelpreis für Medizin erhalten haben, gelten Sie als jene Wissenschafterin, die das Geheimnis des ewigen Lebens entdeckt hat. Ist das nicht übertrieben?

Blackburn: Im Fall von Einzellern stimmt das sogar. Wir haben nachgewiesen, wie Wimperntierchen den Alterungsprozess mit einem genialen Trick der Natur aufhalten. Normalerweise werden Telomere, die Schutzkappen der Chromosomen, bei jeder Zellteilung kürzer. Wenn die Telomere ganz weg sind, verkleben die Chromosomen, und die Zelle stirbt ab. Die Wimperntierchen entwickeln das Enzym Telomerase, mit dem sie vor jeder Zellteilung die Telomere länger machen. Ein wunderbares Leben, führen die. Davon können wir nur träumen, finden Sie nicht auch?

Standard: Warum schaffen wir Menschen das nicht?

Blackburn: In komplexen Organismen kann das nicht funktionieren. Da gibt es zu viele Faktoren aus der Umwelt und in der Erbanlage, die Einfluss nehmen und zur Entstehung von Krankheiten und zur Alterung beitragen. Wir wissen mittlerweile zum Beispiel, dass chronischer Stress die Telomere verkürzt. Wir haben dafür die Telomere von Müttern behinderter Kinder getestet: Je länger sie in Stresssituationen waren, desto kürzer waren die Telomere.

Standard: Was verlängert die Telomere?

Blackburn: Eine Änderung des Lebensstils könnte dazu einen Beitrag leisten, da bin ich überzeugt. Wenngleich ich nicht behaupten will, dass sportliche Aktivitäten allein es sind, die die Telomere verlängern. Man weiß ja ohnehin, dass all diese Dinge zur Vorbeugung von Herzinfarkt oder Diabetes geeignet sind.

Standard: Sie waren im Gründerteam des Unternehmens Telome Health? Kann ich dort eine Blutprobe einschicken, und Sie sagen mir, wie alt ich werde?

Blackburn: Nein, so funktioniert das nicht. Wir sind keine Hellseher, wir können nicht in die Zukunft schauen. Es gibt zwar einen erwiesenen Zusammenhang zwischen Telomerlänge und Alter, aber man kann nicht auf das absolute Alter schließen. Wir untersuchen nun den Zusammenhang zwischen Telomerlängen und Erkrankungen wie Krebs und machen diese Forschungsarbeiten als Dienstleister für Wissenschafter und Mediziner. Die Messung der Telomerlänge ist eine große technische Herausforderung. Wir haben das Equipment dafür, deswegen wenden sich diese Gruppen an unser hochspezialisiertes Labor. Das ist so ähnlich wie in den frühen Tagen der DNA-Sequenzierung. Da haben auch viele Dienstleister diese Detailarbeiten gemacht.

Standard: Sie sagen, Sie sind keine Hellseherin. Aber Sie sind sicher schon als eine solche bezeichnet worden?

Blackburn: Ja, und ich bin natürlich nicht glücklich damit. Es ist wichtig, die Arbeit, die wir machen, realistisch zu betrachten. Das ist ja kein Todesurteil, wenn man aufgrund unserer Untersuchung ein gewisses Risiko für Krebs hat. Wir machen keine Dia gnosen. Da muss niemand aufschrecken und Angst bekommen, nächstes Jahr zu sterben. Es ist ja auch nicht auszuschließen, dass jemand mit langen Telomeren nicht doch einmal gesundheitliche Probleme bekommt. Viele Menschen wollen unseren Test machen und glauben, so in die Zukunft schauen zu können. Wenn wir sie aber aufklären darüber, was wir wirklich machen, sind sie naturgemäß sehr enttäuscht.

Standard: Sie würden nie sagen, dass akut Gefahr in Verzug ist?

Blackburn: Nur, wenn die Telomerlänge deutlich unter jener von anderen und vergleichbaren Untersuchungsteilnehmern ist. Das deutet auf eine ernsthafte Erkrankung hin, kommt aber sehr selten vor. Die Herausforderung ist, bei der großen Mehrheit im Durchschnitt die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir erforschen auch, wie die Menschen auf diese Testergebnisse reagieren, welche Art Initialzündung lange oder kurze Telomere für den Einzelnen sein können. Sind sie dann initiativer, machen sie mehr Sport? Was machen Menschen, die offensichtlich weniger Risikofaktoren haben? Wir untersuchen gerade, wie dieses Wissen das Verhalten verändert. Ich würde mir wünschen, dass jeder einzelne Bürger diesen Test machen kann und mit den Ergebnissen ohne Panik umgeht und weiß, dass wir nur eine Trendanalyse machen. Und ich denke, dass das zumutbar ist. (Peter Illetschko/DER STANDARD, 5. 9. 2012)