Szene aus Ubisoft kommendem Insel-Horrortrip "Far Cry 3".

Foto: Ubisoft

Es war wie ein Hoffnungsschimmer für das noch junge Studio No Reply Games als Valve die Indie-Games-Plattform Steam Greenlight startete. Der Betreiber der größten Vertriebsplattform für PC-Spiele, Steam, stellt mit der Initiative unabhängigen Entwicklern und dessen Spielen eine Bühne zur Verfügung. Nutzer können sich die Werke ansehen und darüber abstimmen, welches Spiel künftig zum Verkauf angeboten wird.

Doch so schnell No Reply Games sein Werk "Seduce Me" ("Verführe mich") auf Steam Greenlight zur Wahl gestellt hatte, so flott erfolgte auch die Abfuhr seitens der Betreiber. Ohne sich auf Verhandlungen einlassen zu wollen, hieß es in einem Email schlicht, dass das Erotik-Spiel gegen die Richtlinien verstößt. 

Verquere Videospielwelt

Halb so schlimm, könnte man in Anbetracht des globalen Marktes sagen. Für dieses Indie-Studio ist eben eine von vielen Vermarktungschance geplatzt. Doch der Fall zeigt zum Einen, dass erotische, geschweige denn pornographische Inhalte 2012 nach wie vor ein Tabu in der Videospielwelt sind und zum Anderen, wie verquer die Moralvorstellung in weiten Teilen der Branche ist.

Für Außenstehende, die Videospiele in erster Linie mit Kindern in Zusammenhang bringen, mag Valves Ablehnung zunächst einleuchtend klingen. Nackte Körper, Geschlechtsverkehr, Anzüglichkeiten, Leidenschaft sind keine Kinderthemen. Doch wir schreiben das Jahr 2012. Wir leben in einer Zeit, in der das Durchschnittsalter von Spielern bei 35 Jahren liegt. In einer Zeit, in der seit einigen Jahren das bestverkaufte Konsolenspiel "Call of Duty" heißt und sich ausschließlich an Erwachsene richtet, die Krieg spielen wollen. Krieg, die wohl schlimmst mögliche Form der Auseinandersetzung, die die Menschheit kennt. Tod, Leid, Zerstörung: In der Unterhaltungsindustrie so normal wie bei "Super Mario" Münzen einsammeln.

Virtuelle Schmuddelecke

Die Konsequenz dieser Tabuisierung ist, dass Zwischenmenschlichkeit in der virtuellen Schmuddelecke dahinvegetiert. Ja, es gibt die Sex-Games im Web und Hentai-Spiele in Japan, doch hier wird ein menschliches Grundbedürfnis sprichwörtlich in die Tonne getreten. Schund. Trash. Pornomüll.

Echte Erotik, die verlockt und Sehnsüchte weckt, die Sci-Fi-Autoren dazu inspirierte Holodecks und Virtual Reality zu erfinden, wird den Fans interaktiver Unterhaltung praktisch vorenthalten. Doch weshalb? Besteht tatsächlich kein Markt für prickelnde Pixel?

So viele Möglichkeiten

Ich wage es, dies zu bezweifeln. Und nicht deshalb, weil der aktuelle Literatur-Bestseller in den USA "Fifty Shades of Grey" heißt und ein laut Kritikern "lesbarer" und "klischeebehafteter" Ausflug in die SM-Welt ist. Stellen Sie sich einfach vor, Activision, EA, Ubisoft oder Take 2 würden die gut und gern 50 Millionen US-Dollar schweren Budgets nicht in neue Tötungsarten und Superwaffen, sondern in die Digitalisierung des Kamasutras stecken... Ich bin mir sicher, Sie würden nicht einmal darüber nachdenken in "Grand Theft Auto 7" die hübsche Bar-Dame auszurauben oder in "Mass Effect 5" den kräftigen Türsteher umzunieten.

Jedenfalls sollte es 2012 zumindest möglich sein, ein inhaltliches Gleichgewicht zu schaffen. Klar, wir 18+Spieler wollen Spannung und Action, aber wir wollen auch intellektuell und auch sinnlich angesprochen werden.

Staunen und Raunen

Wie sehr das der Fall ist, veranschaulichte für mich eine Situation auf der vergangenen Branchenmesse E3 am besten. Am ersten Tag der Pressekonferenzen wurden die tausenden in Los Angeles angereisten Journalisten von einer Präsentation zur nächsten geschliffen, um sich die kommenden Hits der Hersteller vorführen zu lassen. Nach unzähligen Trailern und Demos immer realistischer und blutiger inszenierter Egoshooter, strahlte auf der Ubisoft-Pressekonferenz plötzlich eine halbnackte Schönheit von einer gigantischen Leinwand. Es war eine weitere Szene aus einem Egoshooter, doch ausnahmsweise bejubelte das Publikum nicht eine weitere hochstilisierte Tötungsanimation, sondern verblieb beim Anblick zweier wohlgeformter Polygonbrüste raunend. Über die spektakulären Kill-Moves sprach auf der Messe dann kaum jemand, der kurze Einblick in die sinnliche Seite von "Far Cry 3" blieb zwei Monate später auf der Gamescom noch ein Thema.

Satt geschossen

Dass der Wandel nicht sofort geschehen kann, ist logisch. Zurzeit lässt sich mit der jährlichen Aufbereitung der immergleichen Schießbuden viel zu viel Geld machen, als das sich ein profitorientierter Herausgeber an komplexere zwischenmenschliche Themen heranwagt. Aber Mord und Totschlag kann nicht alles sein. Ich gebe die Hoffnung daher nicht auf, dass Pioniere wie David Cage ("Fahrenheit", "Heavy Rain", "Beyond: Two Souls") und die vielen kreativen Indie-Studio langsam aber doch eine inhaltliche Wende einleiten. Denn zumindest ich habe mich allmählich satt geschossen.  (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 7.9.2012)

(Video: "Heavy Rain" ist nach wie vor eine anspruchsvolle Ausnahme bei Spiele-Blockbustern.)

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