Einst heruntergekommen, jetzt hipp: der Yppenplatz im Brunnenviertel in Wien-Ottakring. Kulturinitiatven wie beispielsweise SoHo in Ottakring tragen oftmals zur Aufwertung von Stadtvierteln bei.

Foto: www.martin-dvorak.com/Martin Dvorak

Mara Verlic ist Universitätsassistentin an der TU Wien und hat sich gemeinsam mit ...

Foto: privat

... ihrem Kollegen Justin Kadi dem Thema Gentrifizierung verschrieben. Sie stellen die Frage: "Wem gehört die Stadt?"

Foto: privat

Die Situation auf dem Wiener Wohnungsmarkt ist angespannt: Der Quadratmeterpreis für gebrauchte Eigentumswohnungen ist in den vergangenen zehn Jahren um 70 Prozent gestiegen, die Miete für Altbauwohnungen, die nach 1945 erbaut wurden, um 67 Prozent. Doch nicht nur die Mietpreise ändern sich. Immer wieder kommt es zu einem Verdrängungsprozess in Stadtvierteln, der als Gentrifizierung bezeichnet wird. In Wien werden damit vor allem der Karmelitermarkt im zweiten und der Yppenplatz im sechzehnten Gemeindebezirk in Zusammenhang gebracht.

Vereinfacht gesagt handelt es sich um Gegenden, in die längere Zeit wenig bis gar nichts investiert wurde. Dann leiten Investoren, die sich eine besonders hohe Gewinnspanne erhoffen, mithilfe von Neu- und Umbauten eine Aufwertung dieser Stadtviertel ein. Die Folgen: Alteingesessene Grätzelbewohner müssen die Gegend aufgrund der steigenden Mieten verlassen, an ihrer Stelle folgen wohlhabendere Personen, die oftmals jünger und besser ausgebildet sind.

Justin Kadi und Mara Verlic, Universitätsassistenten am Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung an der TU Wien, forschen zum Thema Gentrifizierung. Im Gespräch mit derStandard.at erklären sie, warum der Begriff in Berlin so viel präsenter ist als in Wien, obwohl das Phänomen in London und Paris noch viel prägnanter ist. Außerdem fordern sie von der Stadt Wien mehr Daten zur Mietpreisentwicklung.

derStandard.at: Woher kommt der Begriff Gentrifizierung und was ist der theoretische Hintergrund?

Kadi: Der Begriff ist in den 1960er-Jahren aufgetaucht, als die britische Soziologin Ruth Glass Veränderungen in Ostlondon untersucht und bemerkt hat, dass es eine zunehmende Immigration von Mittelklassehaushalten in früher ärmere Viertel gegeben hat. Der Begriff, den sie dafür verwendet hat, war Gentrifizierung. Das bezieht sich auf "Gentry", den Landadel, der die Arbeiterklasse verdrängt hat.

Verlic: Ab diesem Zeitpunkt ist die Debatte sehr breit und rege geführt worden. Großteils im amerikanischen, aber auch im europäischen Raum. Man kann das Phänomen der Verdrängung in Stadtteilen von zwei Blickwickeln betrachten: Aus der Angebots- und aus der Nachfrageseite. Bei der Angebotsseite ist man hauptsächlich darauf fokussiert, was auf dem Immobilienmarkt geschieht, was gesteuert passiert und welche Kräfte im Hintergrund stehen. Anders betrachtet gibt es aber auch Veränderungen in der Gesellschaft, durch die eine andere Nachfrage entsteht - z. B. neue Lebensstile und Familienformen, bei denen eine neue Präferenz für urbanes Wohnen zu beobachten ist.

Kadi: Der Gentrifizierungsdiskurs war in den 1970ern ein Bruch mit vorhandenen Traditionen in der ganzen Stadtforschungsdebatte. Diese war davor von Modellerklärungen geprägt, und die Fragen zu sozialer Gerechtigkeit, Verdrängung und Klassenfragen wurden nicht wirklich thematisiert.

derStandard.at: In welchen europäischen Städten ist Gentrifizierung im Moment ein besonders großes Thema?

Verlic: Einer der größten Hotspots, wo das Thema als Schlagwort genannt wird, ist sicher Berlin. Dort wird der Begriff am stärksten von politisch motivierten Gruppen, aber auch im Protest gegen Aufwertung und Verdrängung sowie im Kampf um Raum verwendet. Das muss aber nicht heißen, dass dort das Phänomen am prägnantesten ist. In London etwa ist der Wohnungsmarkt noch viel deregulierter und die Verdrängung im Wohnbereich läuft schneller oder gravierender ab. Auch in Paris ist Wohnraum extrem umkämpft und viel teurer als zum Beispiel in Berlin. Der Begriff ist mit Berlin deshalb so stark verknüpft, weil er dort politisch benutzt wird, nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs.

Kadi: In Berlin konnte die Immobilienindustrie diese Verdrängung auch einfacher umsetzen, weil in Ostberlin mit Investitionen viel Geld zu machen war. Man soll aber nicht den Rückschluss ziehen, dass in den Städten, in denen weniger diskutiert wird, Gentrifizierung kein Thema ist.

derStandard.at: Wie lässt sich die Situation in Wien beurteilen?

Verlic: In Wien fehlt der Diskurs großteils. Die Stadt heftet sich ja auf die Fahnen, dass die Tradition des roten Wiens immer noch weiterlebt und es keine Gentrifizierung gibt. Es ist auch schwierig zu sagen, ob es sie wirklich gibt, weil die Stadt keine Daten herausgibt, mit deren Hilfe sich die Mietpreis- und Einkommensentwicklungen räumlich differenziert nachvollziehen lassen.

Kadi: Der Diskurs, dass Gentrifizierung in Wien nicht stattfindet, baut auf der Tatsache auf, dass Wien traditionell eine starke Wohnungspolitik gefahren hat. Beispiele dafür sind öffentliche Investitionen in Wohnungen, die Geschichte des Wiener Gemeindebaus und das progressive Mietrecht. Dadurch hatten Marktkräfte am Wiener Wohnungsmarkt traditionell weniger Handhabe als zum Beispiel in Städten wie London oder New York.

derStandard.at: Von Seiten der Stadt Wien wird immer wieder das Konzept der "Sanften Stadterneuerung" genannt. Damit ist ein Modell gemeint, um bauliche Strukturen aufzuwerten, aber gleichzeitig Verdrängungsprozesse zu verhindern. Ein erfolgreiches Modell?

Kadi: So allgemein ist das schwierig zu beurteilen. Bei der "Sanften Stadterneuerung" geht es nicht darum, dass Privatinvestoren Geld in die Hand nehmen, Wohnungen renovieren und in der Folge Mieter durch höhere Mieten verdrängt werden. Die Stadt stellt dabei Kapital zur Verfügung und die Privaten bekommen das als Förderung und erklären sich bereit, über eine bestimmte Zeit die Miete billiger zu halten.

Im Gegensatz zu anderen Städten konnte Wien damit direkte Verdrängungsprozesse zwar verlangsamen, aber nicht verhindern. Es gibt große Lücken in diesem System, etwa durch eine zeitliche Begrenzung: Wenn man ein Haus mit sanfter Stadterneuerung renoviert, muss man sich nur dazu bereit erklären, über zehn Jahre die Miete niedrig zu halten. Was nach zehn Jahren passiert, ist offen.

derStandard.at: Dass die Mieten immer höher werden, lässt sich aber schon beobachten?

Kadi: Die wenigen öffentlichen Zahlen über den Immobilienmarkt zeigen, dass sich die Situation in den vergangenen fünf bis zehn Jahren verschärft hat. Laut einer Studie der TU ist der durchschnittliche Quadratmeterpreis für gebrauchte Eigentumswohnungen innerhalb von zehn Jahren um 70 Prozent gestiegen. Das schlägt sich auch auf die Mieten nieder. Es gibt auch eine interessante Studie von der Arbeiterkammer, dass bei Altbauwohnungen, die vor 1945 erbaut wurden, die Mieten in den letzten zehn Jahren um 67 Prozent gestiegen sind.

derStandard.at: Gibt es bezüglich Gentrifizierung eine Prognose für die Situation in Wien?

Kadi: Man sieht, dass es in Wien mehr Investitionen in Luxusimmobilien gibt. Ein Beispiel ist das Sans Souci-Projekt in der Burggasse, wo der Quadratmeter 17.500 Euro kostet. Noch teurer ist das Projekt "Il Principe" am Hohen Markt, wo der Quadratmeterpreis der Wohnungen bei 28.500 liegt. Der Wiener Immobilienmarkt wird immer mehr dafür verwendet, Anlageobjekte zu bauen. Da geht es nicht um Wohnen.

Verlic: Das Werbeplakat für das "Il Principe" bringt es sehr schön auf den Punkt: "You don't have to live in these apartments to love Vienna. Owning them will do." Prinzipiell dehnt sich die Aufwertung von der Kernstadt aus ein bisschen aus und es gibt sicher noch Potenziale für Mietpreissteigerungen und Steigerungen der Immobilienwerte. Zwei Viertel in Wien sind halt immer wieder im Gespräch: der Yppenplatz und der Karmelitermarkt. Dabei zeigt sich aber deutlich das Datenproblem. Denn atmosphärisch hat sich sicher etwas verändert, das lässt sich eindeutig an der Geschäftsstruktur erkennen. Nur weiß man nicht genau, wie es mit Mietpreisveränderungen aussieht und ob es wirklich Verdrängungseffekte gibt.

Kadi: Die Schwierigkeit ist: Sobald man den Stein ins Rollen bringt und den Immobilienmarkt öffnet, lässt sich das wieder schwer eindämmen. Gibt man die regulierende Hand auf, braucht es extrem viel Geld und politische Power, um wieder entgegenzusteuern.

derStandard.at: Vor welchen Problemen steht dann die Wiener Stadtpolitik, wenn sie soziales Wohnen weiter gewährleisten will?

Kadi: Es gibt immer noch einen großen Teil am Wiener Wohnungsmarkt, der geschützt ist. Im internationalen Vergleich gibt es einen hohen Anteil an Mietwohnungen, davon viele geförderte Wohnungen. Eigentlich ist das gut, weil dadurch nur ein relativ kleiner Teil für freie Preisentwicklung und Spekulationen offen ist. Das Problem ist aber, dass es Effekte zwischen diesen unterschiedlichen Segmenten gibt und man sieht schon, dass die Preise in den Luxussegmenten und im Eigentumswohnungsbereich immer weiter steigen. Das wiederum erhöht den Druck auf den geförderten Wohnbau. Gemeinnützige Bauträger haben extreme Probleme, dass sie geförderte und preisgünstige Wohnungen zur Verfügung stellen, weil der Markt zunehmend aufgeheizt ist und der Boden dadurch so viel Wert hat.

derStandard.at: Nach welchen allgemeinen Faktoren wählen Investoren einen Stadtteil für eine Aufwertung aus?

Kadi: Es gibt unterschiedliche Theorieansätze dazu, aber vereinfacht gesagt sind es meist Viertel, in denen das Potenzial für eine hohe Gewinnspanne am größten ist - also die Differenz zwischen den Einnahmen im desinvestierten Zustand und jenen Einkünften, wenn es renoviert ist.

Verlic: Das ist sicher die Basis, erklärt den Einzelfall aber nicht immer zu 100 Prozent, weil es immer unterschiedliche Hintergründe gibt. Im zweiten Bezirk hängt das sicher mit zwei Dingen zusammen: Den Entwicklungen am Donaukanal, die von der Stadt durch Verkauf und Privatinvestoren in Gang getreten worden sind, und dem gesamten Infrastrukturausbau im Zweiten.

derStandard.at: Wo führt das hin und wie kann man dieser Entwicklung begegnen?

Kadi: Generell - nicht nur in Wien - hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung gegeben, die Marktkräften immer mehr erlaubt, den Wohnungsmarkt für Kapitalakkumulation auszunutzen. Das wird gestützt von städtischer Politikveränderung und vor allem Wohnungspolitikveränderung. Das gefährdet die soziale Durchmischung in Städten, da es tendenziell dazu führt, dass Städte immer weniger für jene Bewohner da sind, die wenig Geld haben.

Die Erkenntnis, dass deregulierte Wohnungsmärkte nicht funktionieren - im Sinne von, dass die Armen am Rand wohnen und die Reichen in der Stadt -, war traditionell ein Grund für städtische Wohnungspolitik, besonders in Wien. Die Fragen, die sich deshalb stellen: "Für wen ist die Stadt?" oder "Wem gehört die Stadt?" (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 17.9.2012)