Evolution statt Revolution: Das neue iPhone.

Foto: Apple

Er liegt hinter uns, der zweite "iDay" dieses Jahres. Befeuert von wochenlanger kontinuierlicher Medienaufmerksamerkeit dürften mehr Menschen als je zuvor die Präsentation eines neuen iPhone in San Francisco mitverfolgt haben. Doch was bleibt übrig vom Vorab-Hype?

Kaum Neues von der Westküste

Zuerst einmal hielt sich der Neuigkeitswert der Veranstaltung hinsichtlich des Apple-Produkts in Grenzen. Ein Großteil des Gezeigten hat die Gerüchteküche ein- bis mehrmals durchlaufen und war durch Leaks als glaubwürdig untermauert. Die Marketingmaschine in Cupertino ist auf Hochtouren gelaufen. Doch vielleicht hat man es heuer übertrieben. "Hype kills", bisweilen.

Wenn Evolution nicht reicht

Kein Zweifel, Apples neuestes Baby ist ein gutes Smartphone. Doch der große Aha-Moment ist ausgeblieben. Das "revolutionäre Etwas" fehlt. Und nach den Maßstäben, die Apple bislang gesetzt hat, ist es zu wenig, ein Produkt einfach nur weiterzuentwickeln.

Schnellerer Prozessor, größeres Display mit besserer Auflösung, dünneres Gehäuse, mehr Siri, aufgemotzte Kamera, ein eigener Kartendienst. Das ist gut. Doch nicht gut genug, um die übliche Begeisterung zu schüren. Die Kommentare verschiedener Techblogs während des Events waren positiv, allerdings mit verhaltenem Unterton.

Sündenfall NFC

Dazu gesellen sich auch Sünden. Mit Passbook haben Besitzer des neuen iPhone ein Tool zum Management von Flugtickets, Konzertkarten und Co. in der Hosentasche. Dass man angesichts dessen auf das Potenzial eines NFC-Moduls verzichtet hat, bleibt unverständlich.

Ein marktdominierendes Gerät wie das iPhone hätte neben sinnvollen Funktionalitäten wie einer "Android Beam"-Alternative auch einen gewichtigen Beitrag zur Beendigung des chaotischen Kampfes um den vorherrschenden Standard leisten, wenn diese Entscheidung nicht gar im Alleingang herbeiführen können. Apple geht den weniger mutigen Weg und wartet stattdessen ab.

Abgesteckt

Weh tut auch, dass Apple zwar sinnvollerweise den alten Anschluss für das eigene Telefon verkleinert hat, sich aber trotz europäischem Agreement und entgegen dem allgemeinen Vorgehen in der Branche wieder für eine proprietäre Lösung namens "Lightning" entschieden. Hier wäre die Verwendung von micro-USB kunden- und umweltfreundlicher gewesen.

Die LTE-Frage

Da hilft mobiles Breitband via LTE nur bedingt, denn ein erklecklicher Teil der Kundschaft wird davon auf absehbare Zeit nicht profitieren können. Einige Länder haben keine entsprechenden Netze und dort wo es sie gibt, sind sie zumeist noch im frühen Aufbau begriffen. Ein nettes Feature, nichtsdestotrotz, auf das man in Österreicher leider verzichten muss.

Apple zieht der Konkurrenz an dieser Stelle allerdings nach und nicht davon. Immerhin als Katalysator für den Ausbau des neuen Standards könnte das iPhone wirken. Ob das dem Gerät zu einem veritablen Vorteil gereicht, bis sein Nachfolger das Licht der Welt erblickt, ist fraglich.

Kein "Next Big Thing"

Das iPhone 4 hatte FaceTime und bekam mit dem Prozessor des iPads einen mächtigen Performanceschub spendiert. Das iPhone 4S bot technisch wenig Neues, machte mit Siri aber die bis dahin wenig beachtete Sprachsteuerung durch gelungene Umsetzung und intuitiven Zugang quasi über Nacht zum Phänomen.

Dem Nachfolger fehlt das "nächste große Ding", das Killerfeature. Zumindest eines in einer Größenordnung, die man Apple für ein solches durchgehen lassen würde. Auch wenn die treue Kundschaft wieder stundenlange Wartezeiten vor den Apple-Stores erdulden wird: Die Revolution ist ausgeblieben. (Georg Pichler, derStandard.at, 13.9.2012)