Katharina Tiwald hat im STANDARD am 8. September unter dem Titel "Kollektive Schülerwerdung" einen treffenden Artikel zur Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule geschrieben. So treffend, dass man fast meinen kann, sie sei Studentin der Hochschule, der ich zurzeit als Rektorin vorstehe.

Dass sie es nicht ist, ist beruhigend und beunruhigend zugleich. Beruhigend deshalb, weil die Beobachtung kein individuelles Problem einer (meiner) Hochschule ist, beunruhigend, weil der beschriebene schulische Habitus fünf Jahre nach der Gründung der Hochschulen noch immer der vorherrschende ist.

Neuorientierungsprozess

Dabei wurde in den letzten fünf Jahren an den Hochschulen viel Entwicklungsarbeit geleistet. Unter wenig förderlichen Bedingungen wurde eine respektable berufsfeldbezogene Forschung an den Standorten aufgebaut (von den Forschungsleistungen der österreichischen Pädagogischen Hochschulen konnte man sich im November 2011 auf einer Tagung an der Akademie der Wissenschaften in Wien überzeugen). Lehrende betreuen mit großem persönlichen Engagement Bachelorarbeiten, die es in ihrer Qualität durchaus mit Arbeiten der Universität aufnehmen können (als derzeit karenzierte Mitarbeiterin der Universität darf ich diesen Vergleich anstellen).

In der Lehre, der schulpraktischen Betreuung, in Forschung und Entwicklung wird vielfach hervorragend gearbeitet. Die Personen mühen sich ab, die Institution selbst aber bleibt, was ihre Vorgängerinstitution war: eine Schule.

Monokultur unter den Lehrenden

Das schulische Dienstrecht, die Aufnahmekriterien für neue Mitarbeiter/innen, die schulischen Abläufe sind gleich geblieben und haben sich auch nach fünf Jahren nicht verändert. Noch immer ist die Ausbildung an Pädagogischen Hochschulen nach dem Prinzip der Meisterlehre organisiert. Gute, erfahrene Lehrer/innen bilden Lehrer/innen aus. Das ist nun sicher einsichtig, wenn es um die Schulpraxis geht, es ist auch kein Fehler, wenn Lehrende im Bereich der Fachdidaktik den Schulalltag nicht nur aus Büchern kennen, aber muss der Soziologe, die Psychologin, der Allgemeinpädagoge, die Fachwissenschaftlerin unbedingt ein Lehramt und Schulerfahrung mitbringen? Sie müssen nach den noch gültigen Anstellungserfordernissen! Unter den Lehrenden der Pädagogischen Hochschulen herrscht Monokultur.

Das soll sich allerdings bald ändern. Ein neues Dienstrecht für Pädagogische Hochschulen wird 2013 verbindlich. Damit können erstmals auch Wissenschaftler/innen und Personen, die keine Lehrer/innen sind, an Hochschulen angestellt werden. Lehrende haben Urlaub anstelle von Ferien und der Forschungsauftrag wird deutlicher formuliert.

Verschulte Strukturen bis ins Kleinste

Was mit den verbliebenen schulischen Strukturen passiert, ist noch ungewiss. Ein Beispiel: Als Schule unterliegt die Pädagogische Hochschule dem Konkordat und daher ist "Religionspädagogik" für alle Studierenden im Studienplan verankert, obwohl sie niemals in die Verlegenheit kommen, Religion zu unterrichten. Das Fach ist nun aber nicht etwa offen im Sinne eines interreligiösen Lernens angelegt (was durchaus Sinn machen würde), sondern streng konfessionell gebunden. Die betreffenden Lehrenden werden - ohne das für die Hochschulen übliche Anstellungsprozedere - über die konfessionellen Schulämter an die Hochschulen geschickt. Wer ausweichen will, kann Ethik belegen.

Wenn die Strukturen der Hochschulen schulische sind, wen wundert es also, wenn Studierende sich wie Schüler/innen verhalten. Auch wenn es schwerfällt zu glauben: Mehr als einmal haben in den letzten Jahren Eltern (!) von Lehramtsstudierenden bei Problemen bei mir vorgesprochen, ohne dass deren "Kinder" vor Scham in den Boden gesunken sind.

Wen wundert es, wenn PH-Lehrende, deren erste berufliche Sozialisation als Lehrer/in im Klassenzimmer stattfindet, sich schwertun, in Studierenden etwas anderes als Schüler/innen zu sehen? Wen wundert es, dass Ausgebildete, die selbst nur wenig selbstverantwortliches freies Lernen mit hohen Anforderungen kennengelernt haben (Tiwald: "In den Seminaren an der Pädagogischen Hochschule wird gekuschelt, was das Zeug hält"), glauben, dass ein achtsames und individuelles Eingehen auf Schüler/innen und hohe Leistungsanforderungen prinzipielle Gegensätze sind?

Die Schule als Institution erzieht

Man könnte die Beispiele noch lange fortsetzen. Auch wenn wir uns noch so bemühen, die organisatorische Verfasstheit und nicht Programme sind es, die das Verhalten der Mitglieder lenken. Es sind die Botschaften, die mit der Organisationsform - unbemerkt und nicht selten im Widerspruch zum offiziellen Auftrag - mittransportiert werden, die Verhalten prägen. Pädagog/innen wissen, was mit hidden curriculum gemeint ist. Die Schule als Institution erzieht.

Wer selbstbewusste Lehrer/innen will, darf sie nicht in schulischen Strukturen ausbilden. Wem Kritikfähigkeit, Offenheit und Freiheit Werte sind, der muss diese in der Organisationsform abbilden. Das bedeutet, dass die politischen Entscheidungsträger zuallererst und vor allem die Pädagogischen Hochschulen aus ihrem schulischen Korsett befreien und akademische Freiheit zugestehen müssen.

Das heißt aber nicht, dass man in universitären Strukturen, wie sie heute gelebt werden, landen muss. Es ist jedenfalls hoch an der Zeit, die Bildung aller Lehrer/innen grundsätzlich neu zu denken. Die Weichen sind gestellt: Ein vom Wissenschaftsministerium und Unterrichtsministerium gemeinsam beschickter Entwicklungsrat soll die Entwicklung begleiten. Bleiben wir also optimistisch! (Marlies Krainz-Dürr, derStandard.at, 14.9.2012)