Wanda Moser-Heindl ist für privates Engagement, aber gegen jeglichen Zwang. Ein verpflichtendes Sozialjahr hält sie für falsch: "Ich will nicht von jemandem gepflegt werden, der dazu verpflichtet ist."

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Gespräche über Stadt und Städte.

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STANDARD: Wir treffen uns für unser Gespräch über Wien im Café Prückl. Was ist hier wienerisch?

Moser-Heindl: Meine große Leidenschaft ist es, Zeitungen zu lesen. Ich empfinde es als Luxus, sich die Zeit zu nehmen und verschiedene Zeitungen zu lesen - und das kann man im Prückl gut.

STANDARD: Wie definieren Sie "wienerisch" - Sie sind ja eigentlich aus Oberösterreich zugereist ...

Moser-Heindl: Moment - ich lebe länger in Wien als je woanders. Insofern fühle ich mich schon als Wienerin. Als wienerisch empfinde ich das Leben in einer großen, wenngleich nicht riesigen Stadt mit vielen Infrastrukturmöglichkeiten, ob das nun Kultur, Bildung oder Verkehr ist - und mit vielen bunten Initiativen.

STANDARD: Wie sozial ist Wien?

Moser-Heindl: Ich kann das nur von meinem Blickpunkt aus betrachten: Insgesamt ist die Stadt schon sehr sozial - aber es gibt immer wieder Bedarf nach mehr. Aus diesem Grund engagiere ich mich auch. Weil ich mehr will.

STANDARD: Sie haben die Unruhe-Privatstiftung gegründet, die Kunst, Wissenschaft und Forschung fördert. Warum?

Moser-Heindl: Mein Mann Fritz und ich wollten etwas Langfristiges machen, etwas, das auch weiter besteht, wenn einer von uns stirbt oder wir keine Zeit mehr haben. Die Stiftung ist auf 99 Jahre angelegt, insofern hat das gut gepasst.

STANDARD: Stiftungen haben den Hautgout, dass hier reiche Leute Steuern sparen wollen ...

Moser-Heindl: Was ja nicht stimmt. Ich spare keine Steuern. Menschen gründen Privatstiftungen, weil sie ihr Vermögen zusammenhalten möchten, damit es nicht auf viele Erben verteilt wird. Das war auch Intention des damaligen Finanzministers Lacina. Prinzipiell ist eine Privatstiftung nichts moralisch Verwerfliches. Es gibt Schlupflöcher, die manche Leute nützen. Da ist die Justiz gefragt.

STANDARD: Was war Ihr persönlicher Beweggrund, die Unruhe-Privatstiftung zu gründen?

Moser-Heindl: Ich komme aus einem Elternhaus, das uns sehr behütet hat, das aber auch sozial engagiert war. Meine Eltern haben ihre Baufirma H-Bau 1955 gegründet und sich von Beginn an für ihre Mitarbeiter eingesetzt - das war damals nicht selbstverständlich. Dann kam ich als junge Erwachsene 1970 nach Wien, in diese nachrevolutionäre Phase. Das war wahnsinnig spannend und faszinierend: Wir haben uns gegen den Vietnamkrieg engagiert und gegen Atomkraft, für die Rechte der Indianer. Damals habe ich gelernt, anders zu denken - und mich politisch und sozial zu engagieren.

STANDARD: Seit 2005 loben Sie den Preis für soziale Innovation, "Sozialmarie", aus. Wieso diese Entwicklung in die soziale Richtung?

Moser-Heindl: Wir haben gemerkt, dass sich für unsere Programme bei weitem mehr soziale Projekte bewarben als Kulturschaffende oder Wissenschafter.

STANDARD: Gibt es ein Projekt, das Sie besonders berührt hat?

Moser-Heindl: Mich begeistern Projekte, wo mehrere Unternehmen, Organisationen oder Initiativen beteiligt sind. Zum Beispiel das Projekt Lebensdesign der Lebenshilfe Salzburg. Die haben Porsche-Design und die FH für Design in Salzburg dazu geholt und gemeinsam Designprodukte entwickelt, die von Menschen mit besonderen Bedürfnissen in den geschützten Werkstätten der Lebenshilfe gebaut werden. Diese Menschen können dabei ihre Fähigkeiten und Talente umsetzen. Das ist soziale Innovation. Berührt hat mich das Projekt Kindershospiz-Netz, wo todkranke Kinder und ihre Familien begleitet werden.

STANDARD: Wenn sich das Armutsthema verschärft, wird dann ehrenamtliches Engagement wichtiger? Steuern wir auf eine US-amerikanische Charity-Gesellschaft zu?

Moser-Heindl: Hier gibt es ja auch viele Charity-Sachen, das ist schon okay, aber was mir viel wichtiger ist: dass man sich selbst engagiert, und nicht nur dass man Geld sammelt für irgendein Projekt, egal was die daraus machen. Wenn Sie auf Charity-Veranstaltungen die Leute fragen, "wisst ihr überhaupt, wofür ihr das Geld hergebt?" - die wissen das oft gar nicht. Ich engagiere mich lieber selber und schaue, dass das nachhaltige Projekte sind, die wirklich auch eine Zukunft haben. Und ich experimentiere gerne. So wie Pimp Your Life, wo wir exkludierten Jugendlichen die Chance geben, eine Firma zu gründen.

STANDARD: Warum kann der Staat nicht dafür sorgen dass Jugendliche nicht exkludiert sind? Ist das nicht Aufgabe des Staates?

Moser-Heindl: Der Staat ist nicht die Wirtschaft, er kann sich nicht um Einzelne kümmern, muss das große Ganze im Blick haben.

STANDARD: Bildung ist sehr wohl eine gesellschaftliche Aufgabe.

Moser-Heindl: Natürlich. Da gibt es krasse Mängel. Unfassbar, dass da nichts weitergeht. Das haben Gewerkschaft und Lehrer zu verantworten.

STANDARD: Österreich debattiert über Abschaffung der Wehrpflicht und verpflichtendes Sozialjahr. Wie stehen Sie dazu?

Moser-Heindl: Ich bin keine Anhängerin von Zwangsverpflichtungen. Wenn man ein soziales Jahr attraktiv macht, finanziell, mit guten Arbeitsplätzen, guten Rahmenbedingungen, werden sich die jungen Menschen, die das gerne machen, melden. Ich will nicht einmal von jemandem gepflegt werden, der dazu zwangsverpflichtet ist.

STANDARD: Wie sollte ein sozial innovatives Wien aussehen?

Moser-Heindl: Ein sozial innovatives Wien kann es nicht geben. Es kann immer nur innovative Ideen und Raum dafür geben. Das wünsche ich mir. Dass es Räume innerhalb von Organisationen gibt, wo man sich mit Innovationen beschäftigt, wo man experimentieren und Fehler machen kann. In Unternehmen gibt es das schon. Die gehen viel großzügiger mit Fehlern um als NGOs.

STANDARD: Warum ist das so?

Moser-Heindl: In NGOs herrscht eine andere Kultur. Dort glaubt man leider, dass man spart, wenn man Fehler um jeden Preis vermeidet. Viele Unternehmen ticken da schon anders. Die wissen, dass man experimentieren muss, um weiterzukommen. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 15./16.9.2012)