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Rossen Plewneliew (48) hat auf deutschen Baustellen gejobbt, war Minister für Regionalentwicklung und ist seit 2012 bulgarischer Präsident. Heute diskutiert Plewneliew im EU-Haus (Wien, Wipplingerstraße 35, 18 Uhr). Es moderiert Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid.

Foto: AP/Petrova

Plewneliew wirbt mit der finanziellen Stabilität seines Landes. Markus Bernath sprach mit ihm in Sofia.

 

STANDARD: Mehr als 20 Jahre nach der Wende ist Bulgarien immer noch das ärmste Land der EU. 41 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze oder sind von Armut bedroht. Was läuft falsch?

Plewneliew: Es ist mir als Staatsoberhaupt bewusst, dass es so ist. Klar ist, dass etwas falsch gelaufen ist: Bulgarien ist im Unterschied zu den alten EU-Staaten und zu denen, die sich der Union neu angeschlossen haben, zweimal bankrottgegangen - 1990 und 1996. Ich erinnere Sie auch an die Jugoslawienkriege und das Embargo, das unsere Wirtschaft sehr nachteilig beeinflusst hat. Bulgarien hat dazu noch die schlechteste Privatisierung in Europa hin gelegt. Aktiva von 30 Milliarden Euro wurden verkauft, die Einnahmen waren drei Milliarden.

STANDARD: Die Folgen sind heute noch zu spüren?

Plewneliew: Natürlich. Vergleichen Sie es mit Tschechien: Die tschechische Regierung hat die Staatsbetriebe weiterlaufen lassen und dann strategische Investoren gesucht. In Bulgarien wurden die Betriebe zwischen 1990 und 1996 an Vertreter der einstigen kommunistischen Partei "verschenkt", in der zweiten Phase der Privatisierung ab 1997 lief es ein bisschen besser, aber auch nicht wirklich gut. Ohne internationale Partner konnten diese Betriebe nicht optimal arbeiten. Wir haben zwölf Jahre verloren. Erst in den letzten zehn Jahren hat Bulgarien eine rasante Entwicklung erlebt. Bulgarien hat aus dem Bankencrash von 1997 gelernt, wir haben heute einen stabilen Bankensektor mit internationalen Investoren wie der Raiffeisenbank und mit der höchsten Liquidität in Europa.

STANDARD: Ökonomen sagen, die Richtung der Wirtschaftspolitik stimmt nicht: Bulgarien hat das niedrigste BIP in der EU, zugleich aber auch die niedrigsten öffentlichen Ausgaben gemessen am BIP.

Plewneliew: Ich sehe das als großes Potenzial. Bulgarien erwirtschaftet das niedrigste Nationaleinkommen - 44 Prozent des EU-Durchschnitts. Das ist richtig. Vor zehn Jahren aber waren wir bei 28 Prozent. Wir haben die niedrigsten Steuern in der EU, eine Flat Rate von zehn Prozent. Und der Staat nimmt nur 36 Prozent des BIPs für seine Ausgaben, in Frankreich sind es zum Beispiel 55 Prozent. Wenn Sie Entscheidungen treffen über Gehalts- oder Steuererhöhungen, haben Sie noch Spielraum. In Frankreich gibt es null Spielraum. Wir haben drei Jahre lang Pensionen und Gehälter im öffentlichen Dienst eingefroren. Nächstes Jahr steigen die Pensionen um acht, die Gehälter um 20 Prozent.

STANDARD: Vor den Wahlen.

Plewneliew: Ja, es kommen Wahlen, aber der Punkt ist: Wir können uns die Erhöhungen leisten wegen unserer Finanzdisziplin. Das ist das Potenzial. Innerhalb eines Jahres verbesserte Bulgarien seine Wettbewerbsfähigkeit im Bericht des World Economic Forum um zwölf Stellen.

STANDARD: In Bulgarien werden in diesen Wochen die neuen Mitglieder des Obersten Justizrats bestimmt. Auch in fünf Jahren Monitoring durch die EU ist es nicht gelungen, ein unabhängiges Wahlverfahren zu organisieren. Nachlässigkeit oder gezielte Blockade?

Plewneliew: Was jetzt im Parlament nach einer Gesetzesänderung abläuft, die öffentliche Anhörung von Kandidaten für den Obersten Justizrat, ist einmalig, ein neues Verfahren, das es in nur wenigen anderen EU-Ländern gibt. Das ist 100 Prozent Transparenz. Ja, wir haben den Monitoring-Bericht der Kommission im vergangenen Juli gelesen, und ich sage deutlich: Das war sehr realistisch, kritisch, sehr klar. Die Europäische Kommission versteckt nicht das Negative, aber auch nicht das Positive in unserem Justizbereich. Wir haben Hausaufgaben bekommen und werden sie bis Ende 2013 erledigen.

STANDARD: Die Vorsitzende der Richter-Union, die Sofioter Richterin Miroslawa Todorowa, ist im Juli aus dem Dienst entlassen worden. Zuvor hatte sie eine Verleumdungsklage gegen den Innenminister angestrengt. Wie fanden Sie das?

Plewneliew: Ich habe meine Meinung öffentlich gesagt und diese Entscheidung des Obersten Justizrats als falsch bezeichnet. (DER STANDARD, 17.9.2012)